Donnerstag, 11. Juni: Die Depression gehört nach wie vor zu den Krankheiten, über die man nur ungern spricht, erst recht als Betroffener. Frank Schauder ist Neurologe, und hatte in den zurückliegenden Jahren bereits zweimal unter schweren Depressionen gelitten und sich auch mit Suizidgedanken getragen. Als weiteren Schritt einer möglichen Therapierung schlug er den befreundeten Filmemachern Miriam Jakobs („Aus der Waagerechten in die Senkrechte – Montage der Skulptur Standortmitte“) und Gerhard Schick („Nairobi Taxi Driver“) vor, einen Film zum Thema zu realisieren, bei dem er selbst im Zentrum steht. Heraus kam „Das dunkle Gen“, der nach seiner Deutschlandpremiere beim DOK.fest in München nun im Filmforum am Dom seine Kölnpremiere feierte. Diese bedeutete für alle Beteiligten „etwas ganz Besonderes, weil wir hier herkommen und hier wohnen, und weil ich Frank Schauder hier vor 20 Jahren in einem 16mm-Filmkurs kennengelernt habe“, so Gerhard Schick. Da mittlerweile gesichert ist, dass die Neigung zu Depressionen vererbt werden kann, setzten Schauder und die beiden Regisseure in ihrem Film bei der Genetik an. Mittels eines Speicheltests, der von einer US-Firma auf dem Postweg durchgeführt werden kann, wollte Schauder sein Erbgut untersuchen und die Wahrscheinlichkeit bestimmen lassen, an einer Depression zu erkranken.
Das Ergebnis, das Frank Schauder über ein Webformular vor den laufenden Kameras der Dokumentarfilmer zum ersten Mal zu Gesicht bekam, fiel allerdings ernüchternd aus. Die Wahrscheinlichkeit liegt auch bei ihm lediglich bei 0,1%, was der allgemeinen Wahrscheinlichkeit dieser Erkrankung bei jedem einzelnen Menschen entspricht. „An dieser Stelle entwickelte sich unser Film anders, als wir es in unserem Treatment vorgezeichnet hatten. Aber das ist eben das Risiko einer Dokumentation, die sich der Realität aussetzt“, kommentierte Miriam Jakobs. Die Filmemacher verstanden diesen ungeplanten Twist in ihrem vorgesehenen Erzählstrang aber vielmehr als Chance. Er führte dazu, dass sie Frank Schauder auf einer USA-Reise begleiteten, wo er an einer Konferenz teilnahm, bei der man sich über die Risiken dieser kommerziellen Genuntersuchungen austauschte. Vor Ort kam es auch zu einer Begegnung mit George Church, einem Vorreiter der Genomforschung, der diese Wissenschaft als Segen begreift und glaubt, dass man Körperzellen irgendwann so manipulieren kann, dass man wieder jünger und vielleicht sogar unsterblich wird.
An dieser Stelle löst sich „Das dunkle Gen“ von der sehr persönlichen Krankheitsgeschichte Frank Schauders und nimmt gesamtgesellschaftlich relevante Themen in den Fokus. „Wir waren der Meinung, dass über das, was derzeit in der Genforschung getan wird, ebenso diskutiert und aufgeklärt werden muss“, so Schick. Die Mischung aus Persönlichem und wissenschaftlich Abstraktem, die dabei am Ende im Film herausgekommen ist, entspricht durchaus noch den Intentionen der Filmemacher, die zu Beginn mit den theoretischen Komponenten ihres Stoffes wenig anfangen konnten. Frank Schauder ist der Meinung, dass im Film „mein poetisches Verhältnis zur Naturwissenschaft gut sichtbar gemacht“ wird. Für Jakobs ist die „Kombination aus Technik und Emotionen typisch Kino, weil wir kaum irgendwo so intensiv fühlen wie im Kino und dort trotzdem die technischen Aspekte, von den Dreharbeiten über den Schnitt bis hin zur Projektion im Kinosaal, allgegenwärtig sind“. Frank Schauder hat „Das dunkle Gen“ geholfen, seine Krankheit zu überwinden und gelassener mit seinem Erbgut umzugehen. Einem interessierten Publikum wird der Film helfen, zur Entstigmatisierung von Depressionen beizutragen und sich Gedanken zu machen über den teilweise verantwortungslosen Umgang mit dem Genom, einem hochbrisanten Code, der in der Zukunft immer wichtiger werden wird.
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