Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
18 19 20 21 22 23 24
25 26 27 28 29 30 1

12.584 Beiträge zu
3.811 Filmen im Forum

Verena Jain-Warden und Rainer Hillrichs im OFF Broadway

Erfüllung in der Isolation

10. Juni 2015

„Orania“ im OFF Broadway – Foyer 06/15

Dienstag, 9. Juni: Wie jeden Dienstag stand auch in dieser Woche auf dem Spielplan des OFF Broadway die Präsentation eines Films in der Reihe „Allerweltskino“, die Woche für Woche Filme aus und über den globalen Süden zeigt. Filmemacher Tobias Lindner hatte sich in seinem Film „Orania“ einer ungewöhnlichen Enklave in der südafrikanischen Provinz Nordkap angenommen, die bei den anwesenden Zuschauern für Erstaunen sorgte. Abgeschottet von der Außenwelt lebten dort zum Zeitpunkt der Dreharbeiten im Jahr 2011 ungefähr 800 Buren, die das Land 1990 von der südafrikanischen Regierung abgekauft hatten, um ohne Einflüsse von außen ihre afrikaanische Tradition zu pflegen. Die ausnahmslos weißhäutigen Bewohner Oranias sind die Nachkommen niederländischer und anderer europäischer Siedler, die den afrikanischen Kontinent in der Kolonialzeit unterjochten und sich nach der Auflösung der Apartheid in Südafrika nun als verfolgte Minderheit verstehen. Allzu oft war es in der Vergangenheit vorgekommen, dass die zahlenmäßig überlegenen dunkelhäutigen Farmarbeiter die ehemaligen weißen „Herrschaften“ verdrängt und um ihren Besitz gebracht hatten. In „Orania“ besteht man deswegen nun darauf, für sich selbst zu sorgen, ausschließlich Afrikaans zu sprechen und regelmäßig die Kirche zu besuchen.

Verena Jain-Warden beantwortet Zuschauerfragen

Im Anschluss an die Projektion des Films standen dem interessierten Publikum Verena Jain-Warden, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Leibniz Universität Hannover, und der Allerweltskino-Vertreter Rainer Hillrichs von der Universität Bonn für Fragen zur Verfügung. Die beiden widerlegten zunächst die im Film von den Bewohnern Oranias geäußerten Bedenken, Afrikaans würde ohne ihr eigenes Engagement aussterben, schließlich gäbe es in Südafrika auch genügend Dunkelhäutige, die die Sprache sprächen. Orania sei in den vier Jahren seit Drehende ständig gewachsen und beherberge derzeit rund 1100 Buren, die ihren Dorfrat alle fünf Jahre ohne Parteiensystem personengebunden wählten. Jain-Warden teilte hinsichtlich des Orania-Systems einige von den Zuschauern vorgebrachte Einwände: „Die dort geforderte ethnische Reinheit impliziert bereits rassistisches Gedankengut.“ Rainer Hillrichs ergänzte, dass die Oranier – zumindest in der Öffentlichkeit – die kulturelle eher als die „rassische“ Reinheit betonen. Sie würden von sich selbst behaupten, dass sie gewillt seien, auch den ein oder anderen Afrikaans sprechenden Dunkelhäutigen in ihrer Gemeinschaft aufzunehmen.

Verena Jain-Warden und Rainer Hillrichs beim Publikumsgespräch

Orania hat sich in den gut zwanzig Jahren seines Bestehens auch als Auffangbecken für gescheiterte junge Weiße erwiesen, die, finanziell abgebrannt oder mit krimineller Vergangenheit, im streng geregelten Alltag der Buren-Gemeinde eine letzte Chance für sich sehen. Verena Jain-Warden wies bei der Diskussion auf die Tatsache hin, dass die Oranier dem traditionellen afrikaanischen Genderverständnis verhaftet seien. Keine der Frauen durfte Regisseur Tobias Lindner vor der Kamera Fragen beantworten, lediglich als schmückendes Beiwerk am Rande waren sie im Film geduldet. Während Orania in Youtube-Clips nach wie vor um neue Bewohner wirbt und sich als Ort anpreist, in den es sich zu investieren lohnt, ist man sich in der Gemeinde selbst uneins darüber, ob man eine komplette Unabhängigkeit von Südafrika tatsächlich anstrebt. Jain-Warden ist sich indes sicher, dass das dortige Prinzip des Abschottens überholt ist: „Sie verstehen ihre Kultur als etwas Statisches und sind der Meinung, dass sie kaputtgeht, sobald man etwas an ihr verändert.“

Text/Fotos: Frank Brenner

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Konklave

Lesen Sie dazu auch:

Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24

Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24

Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24

Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24

Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24

Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24

Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24

Ungewöhnliches Liebesdrama
„Alle die du bist“ im Odeon – Foyer 05/24

Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Filmpalast – Foyer 04/24

Gegen die Marginalisierung weiblicher Körper
„Notre Corps“ im Filmforum – Foyer 04/24

Rechtsextreme Terroranschläge
„Einzeltäter Teil 3: Hanau“ im Filmhaus – Foyer 02/24

„Monika musste sterben, weil sie nicht auf den Bus warten wollte“
Auf der Suche nach Gerechtigkeit beim dfi-Symposium – Foyer 01/24

Foyer.

Hier erscheint die Aufforderung!