In dem Moment, wo er die Bühne betritt, noch nichts gesagt hat und man nur das Bild auf sich wirken lässt von diesem schwarz-grau-haarigen Mann mittleren Alters mit unverschämt freundlichen und ansteckendem Grinsen, den lässigen Birkenstocks, dem hellblauen Anzug, darunter ein weißes Hemd, an der einen Hand eine auffällige Uhr und an der anderen ein auffällig traditionelles Armband, so könnte man meinen, man sei beim Seminar eines Lifecoach oder Motivationstrainers. Doch statt veralteten Floskeln, vorgekauten Lebensweisheiten und verjährten Kalendersprüchen präsentiert der deutsch-türkische Kabarettist und Schauspieler Fatih Cevikkollu seinen Zuschauern ein kluges und zeitgeistiges Bühnenprogramm mit urkomisch verpackten politischen Inhalten, einer Portion Selbstironie und Denkanstößen, die dem Publikum noch lange in Erinnerung bleiben werden und zum ernsthaften und nachhaltigen Nachdenken anregen.
Vielen bekannt als Schauspieler durch seine Kult-Rolle des Murat in der Sitcom „Alles Atze“, ist der 47-Jährige seit 2005 erfolgreich mit seinen kabarettistischen Soloprogrammen auf Tour. Mit seinem aktuellen Programm „Fatihmorgana“ will Cevikkollu seinen Zuschauern nicht nur politische Problemzustände aufzeigen, sondern sie mit Humor und Direktheit auch ermutigen, Teil einer Lösung zu sein und geht mit bestem Beispiel voran: „Ich distanziere mich zur AfD, ich distanziere mich zu Nazis. Laut sein gegen Rassismus!“
Als Absolvent der Schauspielschule Ernst Busch in Berlin weiß sich Cevikkollu auf der Bühne zu bewegen, er arbeitet zudem mit seiner unbezahlbaren Mimik, die eine einzigartige nonverbale Komik hervorruft und liebt es, nach politisch unkorrekten - dafür urkomischen - Pointen gekonnt Pausen und Stillen für sich sprechen zu lassen, dass man es im Publikum kaum aushält.
Deutschlands Parteien bekommen durchweg ihr Fett weg: „Wer die FDP wegen Lindner wählt, der wählt auch die Piraten wegen Johnny Depp. Wobei die meisten Parlamentarier haben ohnehin eine Kernkompetenz von Schimpansen.“ Und dann sind da ja noch die „digitalen Eingeborenen und digitalen Migranten. Die Migranten sind in das Zeitalter der Digitalisierung eingewandert. Es kann nur ein Migrant sein, der fragt: Wo ist denn das WLAN-Kabel?“ Der Künstler widmet sich aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen und stellt gerne seine eigenen Thesen in den Raum, wie: „Als das Telefon noch fest war, war der Mensch noch frei. Außerdem gab es am Telefon nicht die Frage: Wo bist du gerade?“
Nicht aus bleibt die Frage, wo die technischen Fortschritte wohl noch hinführen: „Was machen wir, wenn es irgendwann möglich ist, unsere Seele auf eine Festplatte zu spielen? Sind wir dann unsterblich?“ Die Sinnfrage des Lebens schwebt im Raum. An diesem Punkt lacht das Publikum nicht, es zögert mit seiner Reaktion, bis das Schweigen vom Künstler selber gebrochen wird, der am Ende irgendwie erleichternd und mit einer positiven Klarheit feststellt: „Der Unterschied zwischen Mensch und Maschine ist, der Mensch ist solidarisch, kreativ und emphatisch“ und „Leben ist, solange ich mir selbst genüge.“
Fatih Cevikkollu: Fatihmorgana | 31.3. 20.15 Uhr im Senftöpfchen [ABGESAGT WEGEN CORONA] | 0221 258 10 58 | 14.5. im Pantheon, Bonn | 0228 21 25 21
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Überbordende Fantasie
Micha Marx‘ neues Programm im Senftöpfchen – Komikzentrum 09/21
#dieshowgehtweiter
Senftöpfchen-Streaming-Show mit Kölner Künstler*innen – Komikzentrum 06/21
„Schickt den Lauterbach zum Woelki“
Konrad Beikircher über „Kirche, Pest und neue Seuchen“ – Interview 03/21
Tanzen im Wohnzimmer
Lou's The Cool Cats im Senftöpfchen-Stream – Bühne 03/21
Geht ein Mensch ins Kabarett
Es darf wieder gelacht werden - Bühne 09/20
Was man sagen darf
Lisa Eckhart und die heißen Eisen – Bühne 08/20
„Ist das jetzt noch Musik?“
Andrea Badey und Matthias Ebbing über „Schwarze Schafe, heute ganz in weiß“ – Interview 02/20
Absurdität mit Haltung
Torsten Schlosser regt sich auf – Komikzentrum 02/20
„Comedy bringt Unabhängigkeit“
Lena Kupke über ihre Karriere und ihre Show mit Charlotte Roche – Interview 02/20
25 Jahre Bühnenzauber
Ingo Oschmann und sein aktuelles Jubiläumsprogramm – Komikzentrum 01/20
Fatale Welten und kölsche Lösungen
Fatal Banal in der Essigfabrik – Bühne 01/20
Lautes Lachen und positives Zinken
Anka Zink mit ihrem aktuellen Programm – Komikzentrum 12/19
Gekonnter Metier-Mix
Lennard Rosar auch als Stand-Up-Comedian – Komikzentrum 11/19
Der Sex, die Laus und der Spaß
Jürgen Becker und das begehrende Volk – Komikzentrum 10/19
Frisch und frech
Maria Clara Gropplers neues Programm – Komikzentrum 09/19
Zirkus auf der Bühne
Stephan Masur und seine Artisten – Komikzentrum 08/19
„Wir wollen gerne, dass die Leute lachen“
Ensemble TheaterKönig zeigt „Der Blaue Falke“ – Komikzentrum 07/19
Wenn die Zunge bricht
Comedy-Reihe „Gratis & nicht umsonst“ im Atelier-Theater – Komikzentrum 06/19
Kabarett-Knaller
Robert Griess’ politisches Feuerwerk – Komikzentrum 05/19
Glühende 20er Jahre
30 Jahre Swing mit den Glühwürmchen – Komikzentrum 04/19