Freitag, 25. Januar: Am Abend wurde im Filmforum zum 21. Mal das „Stranger than Fiction“-Festival eröffnet, bei dem in Köln noch bis zum 3. Februar knapp 20 neue Dokumentarfilme auf dem Programm stehen, die die ZuschauerInnen in die seltsame Welt nicht-fiktionalen Erzählens entführen. Den Auftakt machte das Langfilmdebüt „Mamacita“ des Mexikaners José Pablo Estrada Torrescano, der mittlerweile in Düsseldorf lebt. Bei der Begrüßung bedankte sich Organisator Dirk Steinkühler beim Kulturamt der Stadt Köln und der Film- und Medienstiftung NRW, die das Festival bereits seit Jahren verlässlich unterstützten und erst möglich machen würden. Sein Ko-Projektleiter Joachim Kühn stellte allgemein einen Rückgang bei der Bereitschaft des Publikums fest, sich auf Filme einzulassen, über die man im Vorfeld nichts wisse. Gegen diese mangelnde Experimentierfreudigkeit sei das „Stranger than Fiction“-Festival die „ideale Plattform für Leute, die einfach mal Filme ausprobieren wollen“. Um diese Offenheit zu unterstützen, gibt es in diesem Jahr erstmals Karten, die für den Preis von zwei Filmen Eintritt für drei Filme gewähren. Auch der Eröffnungsfilm „Mamacita“ zählt auf den ersten Blick zu den Filmen, auf die man sich einlassen muss. Immerhin ist er von einem bislang noch unbekannten Regisseur inszeniert, der darin das Leben seiner Großmutter beleuchtet, die man hierzulande ebenfalls nicht kennt.
María Carmen del Torrescano hat sich in Mexiko aus dem Nichts ein Beauty-Imperium aufgebaut. Alle ihre acht Kinder halfen mit, ihren Traum von ewiger Jugend und einem gut gehenden Familienkonzern zu unterstützen. Nachdem ihr 17. Enkel José Pablo Estrada Torrescano in Mexiko zunächst Mathematik studiert hatte, entschloss sich dieser, in Prag ein Filmstudium zu beginnen. Als er mit seiner ganzen Familie über diese Pläne sprach, nahm ihm seine Großmutter Mamacita das Versprechen ab, eines Tages einen Film über sie zu drehen. Langsam, aber sicher, nahm dieses Vorhaben schließlich Konturen an. Nachdem erste Pläne, aus Mamacitas Leben einen Spielfilm zu machen, wieder ad acta gelegt wurden, startete Torrescano nach seinem Umzug nach Düsseldorf eine Crowdfunding-Kampagne, um den geplanten Film als Dokumentation zu realisieren. Mit einem aus nur vier Personen bestehenden Filmteam zog José Pablo für drei Monate in der Residenz seiner damals 95jährigen Großmutter in Mexiko-Stadt ein und filmte täglich drauflos. Rund 200 Stunden Material entstanden auf diese Weise, die der Regisseur anschließend in einem vierjährigen Prozess zu einem fünfzigminütigen Rohschnitt zusammenfasste. Beim Workshop „dok.incubator“ nahm das Projekt schließlich konkretere Formen an, als mit der deutschen Editorin Mechthild Barth und dem Kölner Produzenten Arne Birkenstock ("Die Nacht der Nächte") zwei weitere in Dokumentarfilmen erfahrene Profis hinzustießen. Birkenstock merkte dazu im Filmforum an: „José Pablo war sehr froh, dass dadurch ein neuer Blick von außen auf sein Projekt hinzukam.“ Editorin Barth bezeichnete den 50minütigen Vorschnitt des Regisseurs als ihre Startrampe, von der aus sie, zusammen mit einem großen Vertrauensvorschuss des Filmemachers, mit dem Endschnitt des Films beginnen konnte.
Für Arne Birkenstock lag ein wesentlicher Bestandteil der nun vorgenommenen Änderungen darin, dass José Pablo Estrada Torrescano selbst durch Barths Arbeit zu einem wesentlichen Bestandteil der Handlung wurde. Dazu der Produzent weiter: „Es gab zwar einiges an Material, in dem auch der Regisseur zu sehen war, aber insgesamt war er mit seiner eigenen Person doch sehr zurückhaltend umgegangen.“ Durch die Entscheidung, José Pablo und seine Beziehung zu seiner Großmutter zum zentralen Aspekt von „Mamacita“ zu machen, erhielt der Film einen äußerst interessanten neuen Ansatz. Da es für die Dreharbeiten weder ein Drehbuch noch verschriftlichte Ideen gegeben hatte, fiel diese Umstrukturierung in der Post-Produktion leicht. Im Rückblick empfindet Torrescano die insgesamt sechs Jahre andauernde Produktion des Films als einen „sehr harten und schwierigen Prozess, zumal ich währenddessen in zwei Länder gezogen bin, deren Sprache ich nicht spreche“. Einige Zeit davon brauchte er auch, um sich über sich selbst klar zu werden und die Parallelen zwischen seinem und dem Leben seiner Großmutter zu erkennen. Am Ende hat der Film dazu beigetragen, dass sich José Pablo mit seiner ganzen Familie ausgesöhnt hat. Seine Großmutter ist überglücklich, dass der Film über sie tatsächlich entstanden ist. Mittlerweile hat sie ihr 100. Lebensjahr vollendet, ist aber auch dement geworden. Für Produzent Birkenstock ist „Mamacita“ ein „kleiner, intimer Film, der wirkt, wenn man sich auf ihn einlässt, weil man sich mit ihm auf irgendeine Weise überall auf der Welt identifizieren kann“. Im Juni wollen Steinkühler und Kühn den Film in ihrem „Real Fiction“-Filmverleih auch bundesweit regulär ins Kino bringen.
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