Seit Beginn seiner tänzerischen Ausbildung am Kölner Institut für Bühnentanz ist Jochen Ulrich dem Tanz in Köln verbunden gewesen und hat ihn entscheidend mit geprägt. Hier erhielt er 1967 sein erstes Engagement bei der Ballettcompagnie der Kölner Bühnen. Hier machte er im „Ballett-Studio“ der Gesellschaft zur Förderung des modernen Tanzes seine ersten choreografischen Versuche. Und hier gründete er 1971 mit anderen jungen Tänzern und Choreografen (Helmut Baumann, Gray Veredon, Jürg Burth) das Tanzforum an der Kölner Oper, das unter der ersten kollektiven Leitung an einem Stadttheater ganz auf den modernen Tanz orientiert war. Ab 1979 unter seiner alleinigen Leitung entwickelte sich das Tanzforum Köln zur einzigen europäischen Tanzkompanie, deren Training u.a. auf der Modern-Dance-Technik der amerikanischen Tanzpionierin Martha Graham basierte und dem Tanzforum eine ganz besondere stilistische Ausrichtung gab. Später kamen erzählerische Handlungsballette mit theatralen Ausdrucksformen hinzu. Mit seinem umfangreichen choreografischen Ouevre gilt Jochen Ulrich als Wegbereiter des modernen Tanzes. Es war die Blütezeit des Tanzes in Köln. Während seiner Zeit als Ballettchef galt Köln als Weltstadt des Tanzes.
Bald schon führte er in Köln regelmäßig Junge-Choreografen-Abende ein, bei denen seine Tänzer erste choreografische Versuche starteten. So wundert es nicht, dass mit Bernd Schindowski (ehem. Ballett Schindowski Gelsenkirchen), Richard Wherlock (Basler Ballett), Katrin Hall (Iceland Dance Company, Reykjavik), Philippe Talard (ehem. Nationaltheater Mannheim) sowie Darrel Toulon in Graz und Lode Devos in Chemnitz viele seiner ehemaligen Tänzer inzwischen selbst renommierte Balletttruppen leiten. Jochen Ulrich war ein außergewöhnlicher Choreograf. Seine Tanzstücke beschäftigten sich regelmäßig mit Leben und Werk großer Künstler, Maler, Literaten. Tief schürften seine Choreografien an seinen Figuren und Themen. Er schuf Ballette über Goya, Dalí, Caravaggio und Michelangelo, über Diaghilev, Casanova und Federico García Lorca. Es war spannend, ihm in seinen Matineen zuzuhören, wenn er beschrieb, wie er die Besonderheiten und Eigenarten seiner Protagonisten in Tanz umsetzen wollte. Jochen Ulrich lebte für den Tanz. Nachdem das Tanzforum in Köln 1996 dem Rotstift zum Opfer gefallen ist, suchte er andere Wege und Organisationsformen und fand nach einigen Zwischenstationen seine neue künstlerische Heimat in Österreich. In Linz ist er gestern gestorben. Wir trauern um den Menschen und Künstler.
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