Das muss ihm erst mal jemand nachmachen: Seit 18 Jahren leitet der Kulturmanager Rick Takvorian das Schrittmacher Dance Festival Aachen. Seit letztem Jahr mit dem Zusatz „just dance“, also einem besonderen Bekenntnis zum Tanz, wohl weil der allzu oft im Theatralen oder Performativen unterzugehen drohte. Längst ist das Festival kein lokales mehr, sondern ein regionales, denn Takvorian hat auch andere Gemeinden der Euroregion Belgien – Niederlande – Deutschland ins Boot geholt. Damit hat er nicht nur den Einzugsbereich der Zuschauer erweitert, sondern betreibt auch praktische grenzüberschreitende Kulturpolitik. Das eine wie das andere mögen die Künstler sehr, denn wer tanzt nicht gern vor ausverkauftem Haus und bei einem Festival mit internationaler Reputation.
Wer als Zuschauer dabei sein möchte, sollte sich sputen. Obgleich das Festival erst am 21. Februar startet, sind zahlreiche Vorstellungen bereits ausverkauft. Mit Geduld und Beharrlichkeit und mit ebenso viel Kompetenz und Kontakten hat Rick Takvorian ein Festival aufgebaut, das nach der Auflösung des Aachener Ballettensembles und dem Scheitern des Euregio-Tanzforums 1999 kontinuierlich den Tanz in eine Randregion von NRW geholt und dort etabliert hat. Vor drei Jahren gab es dann in Aachen mit der Fabrik Stahlbau Strang sogar eine Spielstätte für das Festival. Das, so Takvorian, und die Spielstätte in Heerlen (NL), brachten dem Festival eine neue Wahrnehmung und neue Ausstrahlung weit über die Region hinaus: „Es war wie neugeboren“. Und um den tänzerischen Reichtum Europas und der Welt nach Aachen bringen zu können, wird das Festival auch weiterhin themenoffen bleiben. Es ist ein großes Plus, aus der Vielfalt des Tanzes das Angesagte, das Aktuelle herausgreifen zu können. Etwa wie Henri Oguike mit seiner Dance Company (GB), der zur Musik von Vivaldis Jahreszeitendrei neue Werke zeigen wird, die ihre Inspiration in der Theatralik und rhythmischen Energie des Barock finden. Doch die thematische Offenheit kann leicht zur Beliebigkeit werden, die dem Zeitgeist hinterherläuft. So könnte der Name „Schrittmacher“ auch zur Hypothek werden.
Bislang jedenfalls überzeugt Takvorians Auswahl. Mit der Einladung der ungarischen Dance Companie Éva Duda richtet er den Blick nun auch in den Osten Europas. Henri Oguikes Stücke werden das Festival am 22. Februar auf deutscher Seite eröffnen, während am Tag davor das niederländische Nationalballett mit seinem Best of Balanchine-Abend eine eigene Eröffnung in Heerlen zelebriert. Eine Doppel-Eröffnung, die eher gegen den Geist des Festivals spricht, das doch ohne Sparten und ohne Grenzen auskommen will. Immerhin ist mit Het Nationale Ballet für die nächsten Jahre eine feste Zusammenarbeit vereinbart, mit Stücken eigens für das Festival. Auch mit dem Scapino Ballet Rotterdam soll enger kooperiert werden. Man darf also gespannt sein, ob der Drive, den das Schrittmacher Festival durch die neuen Spielstätten erhalten hat, sich im künstlerischen Niveau des Festivals weiter niederschlägt. Bislang jedenfalls ist alles „just dance!“
21.2.-20.3. in Aachen | www.schrittmacherfestival.de/programm
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