Die Frage, wie ernst es der Kölner Region mit dem Klimaschutz ist, bleibt im besten Fall weiter offen. Alle Bemühungen zur CO2-Reduktion wirken zu klein angelegt, und nach dem Weltklimagipfel in Bonn begann die letzte Phase der Rodungen des Hambacher Forst. „Ich empfehle einen Besuch“, sagte Moderatorin Dr. Ute Symanski von der Ratsgruppe Deine Freunde, die das Thema seit ihrer Waldführung „nicht mehr loslässt“. Auch einige der Aktivisten waren am Mittwoch zu den „Kölner Klimagesprächen“ – von den Grünen initiiert – ins Alte Pfandhaus gekommen, um unter anderem vom großen internationalen Interesse zu berichten, das sich während COP23 auf den Rest des uralten Waldes und den Braunkohletagebau gerichtet habe. Waldbesetzer Jus betonte, dass der am 28.11. vom Oberverwaltungsgericht Münster verordnete Rodungsstopp nur für die Planungen des laufenden Jahres gelte und mit Beginn des neuen Jahres ein neuer Stopp erwirkt werden müsse. Er warb für Unterstützung und Teilnahme auf jeder Ebene.
Die Headliner des Abends waren der Kölner Umweltdezernent Prof. Dr. Harald Rau und Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Schneidewind teilte seine Einschätzung des Klimagipfels mit, dem sein Institut die Schulnote 3+ geben würde: „Diplomatische Pflicht ohne politische Kür.“ Es habe vor allem an einem Land gefehlt, das eine klare Führungsrolle übernommen hätte, zumal die USA aus dem Klimaabkommen ausgestiegen und Gastgeber Deutschland von Koalitionsverhandlungen gelähmt gewesen seien. Trotzdem habe sich die Dynamik insgesamt verstärkt und vor allem „nicht-staatliche und subnationale Akteure“ wie Städte hätten eine Vorreiterrolle übernommen – besonders in den USA. „Die USA fühlt sich in weiten Teilen den Klimazielen weiter verpflichtet.“ Hinter dem Engagement der Industrie stünde dabei auch „ein handfestes ökonomisches Interesse“, besonders im Energie- und Mobilitätssektor (Tesla, Google).
Es kommt auf die Städte an
Eine Allianz zum Kohleausstieg aus 20 National- und Bundestaaten wie Kanada, Frankreich, Italien und Großbritannien habe Deutschland nun verstärkt unter Druck gesetzt, aus der Kohle auszusteigen.
Ob es gelinge, das 2-Grad-Ziel einzuhalten, werde sich in den Städten entscheiden, so Schneidewind, wo bis 2050 weltweit rund 80% der Menschen leben würden. „Was das an Stadt-Zubau insbesondere in Afrika und Asien bedeutet, ist alleine schon mit gewaltigen Umwelt- und Klimafolgen verbunden.“ So habe allein China zwischen 2008 und 2011 mehr Zement verbaut als die USA im ganzen 20. Jahrhundert. „Wenn man weiß, wie CO2-intensiv die heutige Zement- und Betonproduktion ist, würde alleine, wenn wir mit heutiger Bauweise die Urbanisierung von rund 3 Milliarden Menschen realisieren, die in den nächsten 35 Jahren nochmal mehr in Städte gehen, der Großteil des CO2-Budgets, das wir für das 2-Grad-Ziel noch haben, aufgebraucht werden.“ In der „Art und Weise, wie wir Städte denken (…) entscheidet sich in letzter Konsequenz die Klima-Herausforderung.“ Jede Stadt müsse ihre eigenen Antworten finden und mit sozialer Teilhabe und aus einem „Eigenartsmoment“ heraus genug eigene Motivation dafür entwickeln.
Klimaanpassung mitdenken
Unter anderem stimmte Schneidewind einer Wortmeldung zur Verbindung von Klimaschutz und Klimaanpassung zu. „Gerade auf kommunaler Ebene ist das eine Riesenchance, beides zusammen zu denken, weil, wie Sie richtig sagen, man das über bestimmte Maßnahmen hervorragend kombinieren kann. Zum anderen ist ja auch das offene Diskutieren über Klimaanpassungsmaßnahmen, auch was damit an Veränderungen und Kosten verbunden ist, wichtige Motivation, auch mehr für Klimaschutz zu tun.“
Nach Vorreiterstädten im Klimaschutzbereich befragt, nannte er Münster (Radverkehr), Karlsruhe (ÖPNV) und Freiburg (regenerative Energien). Das Wuppertal Institut hoffe künftig auch, dass sich Kommunen trauen, mit alternativen Wohlstandsmodellen zu experimentieren: „Welche Stadt hat wirklich als erste den Mut, den Wohlstand und die Lebensqualitätsentwicklung zum zentralen Kompass der Stadtentwicklung zu machen?“ Es laufe bisher lediglich ein vom Institut unterstütztes Modellprojekt in Osnabrück, ansonsten müsse man „eher international schauen“.
Die 40%-Herausforderung
Harald Rau hatte auch Zahlen mitgebracht – seine Berechnungen zeigten: „Selbst wenn wir alle Autos in Köln lahmlegen, haben wir 2030 gerade ein Viertel des Einsparziels erreicht.“ Von den 12 Mio. Tonnen Kölner CO2 im Jahre 1990 sind bis dahin 40% einzusparen. Inzwischen beginne Nachhaltigkeit aber „wirtschaftlich interessant zu werden“, wie das Beispiel der Ford-Fahrräder zeige. Viele Kölner Firmen hätten „die Chance verstanden“ und er sei überzeugt: „Köln stellt eine ideale Metropole dar, um solche neuen Formen der Mobilität, der Energieversorgung und so weiter sozial verträglich auszuprobieren.“ Es sei jetzt „unser Job, das so weiter zu treiben, dass die Firmen und Menschen das mehrheitlich verstehen“, denn man sei erst am Anfang.
Eine Erkenntnis, die Rau von den Feinstaub-Alarmen in Stuttgart mitgenommen habe: „Freiwilligkeit ist zu wenig.“ Eine politische Steuerung sei nötig, mit Geboten und Verboten und vor allem auch über das Setzen von Anreizen durch die Preise, wie im Falle der wirkungsvollen Sondersteuer auf Alkopops seit 2004. Gerade Energie sei zu billig. Eine „Steuerungslogik“ lasse sich dabei durchaus sozial gestalten, sodass Geringverbraucher oder Menschen mit kleinen Autos gar nichts, Vielverbraucher und SUV-Fahrer aber sehr viel bezahlen müssten.
Weg von der Kohle
Den „Hauptschlüssel“ zur CO2-Reduzierung sah Rau in einem Ausstieg aus der Braunkohle, die bei der Energieproduktion 80% ausmache. „Dieses 40%-Reduktionsziel schaffen wir nicht, ohne ganz, ganz massiv – und zwar noch viel massiver, als wir das bis vor einem Jahr dachten – an die Braunkohle heranzugehen.“ Das sei auch im Interesse Kölns: „Überall dort, wo moderne Städte mit modernen Energie- und Mobilitätskonzepten funktionieren, da ist auf einmal die Lebensqualität höher! Es kann mir doch niemand erzählen, dass jeden Tag zwei Stunden im Stau stehen eine hohe Lebensqualität ist. Wir haben doch keine hohe Lebensqualität!“ In der Stadt müsse also experimentiert werden mit Blick auf „neue Lebensqualität“.
„Am Anfang kostet es Geld“, gibt Rau zu, wenn es dann auch später Geld bringe. Um eine Wende zu finanzieren, um die man auch gesetzlich gar nicht mehr herumkomme, müsse die Politik stärker priorisieren, also auch auf ein paar Dinge verzichten. Den ÖPNV bezeichnete er auf Nachfrage als „relativ schlecht“: „Wir müssen ganz schnell besser werden, wir müssen den auch finanzieren.“ Die aktuellen Programme der Bundesregierung seien „immer noch viel, viel, viel zu kurz gegriffen“, er rechne allerdings in Zukunft für eine ÖPNV-Ausweitung mit weiteren Förderprogrammen. In Köln brauche man, zumal es mit der Schiene sehr lange dauere, mehr Busse, die aber nicht im Stau stehen dürften, sondern auf Busspuren fahren.
Ideenaustausch
Die Besucher sollten in „Themenclustern“ etwa 20 Minuten eigene Ideen zu Energie, Ernährung, Verkehr und zum Schutz des Hambacher Forsts besprechen und sammeln. Daran nahmen auch Gäste aus Politik, Wirtschaft und Stadtgesellschaft teil, die ausgefragt werden konnten. So erklärte etwa Thomas Dittemer, strategischer Planer bei der KVB, in einer Gruppe, dass man nun „relativ zeitnah“ von 8 auf etwa 50 Elektrobusse aufstocken werde, allerdings mit der Planung der Einsätze Schwierigkeiten habe, da die Reichweite der Busse unklar sei. Für das „Angebot“, was etwa höhere Taktungen und durchgängige Nachtfahrten anginge, sei nicht die KVB, sondern die Stadt als Auftraggeber zuständig. Thomas Kahlix hatte schon für den Bürgerhaushalt seinen Vorschlag eingebracht, Radschnellwege mit dem vorhandenen Schienennetz zu verbinden, wofür fünf Meter zusätzlicher Raum an den Trassen gebraucht werde. Der Verkehrscluster sprach auch über Lastenfahrräder – demnächst von Donk-EE an 50 Kölner Standorten verfügbar, sobald die App funktioniere – für den Lieferverkehr und Großeinkäufe. Außerdem wurden Ideen aufgenommen, wonach Paketdienste sich untereinander vernetzen und Paketzentren teilen sollten. Der Energie-Cluster wollte vor allem die Braunkohle abschalten und die „Kölner zu Energieaktivisten machen“, also die Einzelverantwortung mehr vermitteln.
„Die Ideen sind da“, resümierte Uwe Schneidewind. „Die große Herausforderung ist, wie man das im aktuellen politischen Setting auf die Straße bringt und da auch ganz neue Mobilisierungsformen nötig sind.“
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