Die Auswahl war groß: Zu jeder vollen Stunde haben am Samstagabend rund zwanzig verschiedene Veranstaltungen angefangen. Von Romanen, über Comics und Hörstücke oder literarische „Fuck-Up-Nights“ – das alles gab es bei der 1. Kölner Literaturnacht.
Versteckt in der Nähe des Rathenauplatzes sind die Welträume, in denen die Besitzerin Sabine Heineken Textilkunst, Schmuck und „Ethnographica“ aus verschiedenen Ländern ausstellt und verkauft – und die bunten Räumlichkeiten für Veranstaltungen anbietet. Im Rahmen der Literaturnacht stellt sich dort das interkulturelle Autorencafé „fremdwOrte“ unter dem Titel „Gespräche über Aufbruch und Ankunft“ vor. Die Idee hinter dem Projekt: geflüchtete und deutsche SchriftstellerInnen zu vernetzen, einen Austausch zu ermöglichen und Projekte zu fördern. Den Abend eröffnen Jabbar Abdullah, der 2014 aus Syrien nach Köln geflohen ist, und Christine Battermann, die als Literaturübersetzerin unter anderem Abdullahs Werke aus dem Arabischen übersetzt. Abdullah ist studierter Archäologe, arbeitet im Römisch-Germanischen Museum in Köln und hat unter anderem die Ausstellungsreihe „Syrien, Kunst und Flucht“ organisiert – und er ist Autor. Extra für den Abend hat er den Text „An Rosa Luxemburg“ geschrieben.
„Ich hätte mir gewünscht nie diesen Text schreiben zu müssen, mich nie als Geflüchteter vorstellen zu müssen, nie diese Frage beantworten zu müssen, wo ich eigentlich herkomme“, schreibt Abdullah. Sein Text vermittelt dem Publikum mit vielen Vergleichen einen Eindruck von seinem Leben, seiner Familie und seiner Fluchterfahrung. Seine Geschichte berührt – auch ohne viele Details seiner Flucht zu erzählen. Und er stichelt: „Ich will ein guter Geflüchteter sein, damit andere mich akzeptieren“ – er führt aus, dass das hieße sich jeden Tag zu betrinken, Rechten im Parlament Sitze zuzugestehen und den Bau von Moscheen zu verhindern, eben sich „die dunkle Seite der Demokratie zu eigen zu machen“. Er kritisiert in seinem Text unter anderem Gott, rechte Politik und „Krieg in all seiner Hässlichkeit“. Nächstes Jahr wird von Jabbar Abdullah ein Roman im Sujet Verlag erscheinen.
Die weiteren Wege durch die Literaturnacht müssen dann gut durchdacht sein. Die Idee der Veranstalter jeden Programmpunkt nur 40 Minuten dauern zu lassen, sodass man 20 Minuten Zeit habe, um zum nächsten Ort zu wechseln, ist gut gemeint, aber in Köln eher sportlich bemessen. Gerade da die Veranstaltungen nicht zentral in einem Bereich stattfinden, sondern sich von der Innenstadt über Ehrenfeld bis nach Kalk verteilen. So fordern manche Wege, auch mal eine Veranstaltung auszulassen oder aber bewusst an einem Ort zu verweilen.
Gut fußläufig und in wenigen Minuten vom Rathenauplatz erreichbar ist allerdings die Traumathek, die einen Schwerpunkt auf Comics setzt. „Für die Comics bitte ganz nach hinten durchgehen!“ ist nicht nur der Veranstaltungstitel, sondern auch eine praktische Anweisung. In den hinteren Räumen der Videothek stellt unter anderem der Kölner Künstler Oliver Scheibler sein riesiges Wimmelbild vor. „Verwurzelt im Widerstand – Bilder aus dem Rheinischen Revier" beschäftigt sich mit dem Kampf im Hambacher Forst gegen den Braunkohleabbau. Die Schwarzweiß-Zeichnung ist vollgepackt mit Details, die alle eine Bedeutung und eine Geschichte haben. Scheibler versucht so viele Abschnitte so ausführlich wie möglich in den 40 Minuten zu erklären. Er sprüht dabei nur so vor Enthusiasmus, erzählt eine Geschichte nach der anderen, aber hat dabei auch einen differenzierten Blick auf die Geschehnisse im Hambacher Forst: So ist seine Meinung zur Polizei weniger radikal als von vielen Hambi-AktivistInnen. Viel zu schnell ist die Zeit vorbei und sein Handy-Wecker kündigt das Ende an, obwohl noch hunderte Dinge zu seinem Comic hätten erzählt werden können.
Im Atelierzentrum Ehrenfeld stellt das junge Kölner Kunstkollektiv „mind.break.cologne“ seine multimedialen Performances aus Texten, Videos und Musik vor. Unter anderem präsentiert Sascha Klein ein Live-Hörspiel. „Ehrenwelt 2020“ beschäftigt sich mit Integration von Geflüchteten im Stadtteil Ehrenfeld. Das Stück ist voller Klischees über sogenannte „Hipster“, dabei aber wenig einfallsreich, und es hätte dem Stück gut getan, hätte der Künstler wirkliche Erfahrungen von Geflüchteten eingebaut. Am unterhaltsamsten ist noch die Handy-Integrationshilfe Erika, die, angelehnt an verschiedene Sprachassistenten, als Computerstimme dem Protagonisten Ehrenfeld erklärt. Jedoch geht der Witz manchmal verloren, da Klein sich oft in seinem Skript verhaspelt oder lange braucht, um Töne von seinem Laptop abzuspielen.
Man könnte so weit gehen die Veranstaltung als „Fuck up“ bezeichnen, also als Etwas Vermasseltes. Unter diesem Titel steht jedenfalls die literarische „FuckUp-Night“ im Hostel Weltempfänger. Gunther Geltinger erzählt vom Entstehungsprozess seines Hörspiels „Riss“, das zunächst ein Drehbuch für einen sechsstündigen Film, dann ein Roman war und schließlich nach Jahren zu der heutigen Fassung wurde: eine Art Hörbuch mit sphärischen Tonmalereien. Jedoch wird Geltinger dem Motto des Abends nicht ganz gerecht: Sein Projekt sei kein Fuck-Up, es habe ihn zu dem Erzähler gemacht, der er heute sei. Ein bisschen mehr Selbstironie und ein paar Anekdoten hätten der Veranstaltung nicht geschadet, wenn auch das fertige Hörspiel ein faszinierendes Projekt ist.
Bei so vielen parallel stattfindenden Veranstaltungen ist es ärgerlich, wenn die Auserkorene dann nicht überzeugt. Allerdings dauerten sie nur kurzweilige 40 Minuten, sodass man von vielen verschiedenen Themen einen kurzen Einblick erhalten konnte – und sich nicht lange über einen „Fuck-Up“ ärgern brauchte. Die 1. Kölner Literaturnacht bot ein buntes Programm, das einen im Eilschritt quer durch die Stadt und auch quer durch die Kölner Literaturszene führte.
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