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Uwe Kalkowski und Bettina Fischer im Literaturhaus
Foto: Jan Schliecker

„Stimmen, mit denen wir uns auseinandersetzen sollten“

12. März 2020

Bettina Fischer und Uwe Kalkowski planen die 2. Literaturnacht – Interview 03/20

Wenn die Gesundheitslage es zulässt, gibt es am 9. Mai mit einem Ticket Zugang zu über 50 Orten mit Veranstaltungen zu allen möglichen Facetten der Kölner Literaturszene. Das Programmheft liegt bereits aus. Wir trafen Bettina Fischer und Uwe Kalkowski vom Literaturszene e.V., um über die Planungen zu sprechen.

choices: Aktuell herrscht eine große Verunsicherung bei Veranstaltern und Publikum, wie genau angesichts des Coronavirus das kulturelle Leben weitergehen kann. Wie steht es mit der Literaturnacht?

Bettina Fischer: Die Buchbranche hat jetzt zwei große Veranstaltungen abgesagt – das sind wirklich Schläge in die Magengrube einer Szene, die auch davon lebt, sich zu präsentieren. Die Literaturnacht ist als Präsentation der hiesigen Szene gedacht. Die Leipziger Buchmesse und die lit.Cologne finden nicht statt, weitere Kulturangebote werden zurzeit abgesagt. Wir werden die Entwicklung und Notwendigkeiten natürlich sehr genau beobachten und Alternativen erwägen. Die Literaturnacht ließe sich immerhin auf einen anderen Termin transportieren. Wir hoffen allerdings, dass wir im Mai sagen können: Wir feiern nun ein Fest der Kölner Literatur. Das wäre mein starker Wunsch, aber heute können wir es natürlich nicht sagen.

Uwe Kalkowski: Man muss natürlich dazusagen, ohne es verharmlosen zu wollen, dass die Dimension eine ganz andere ist als bei der Leipziger Buchmesse oder auch bei der lit.Cologne. Da kommen nicht Hundertausend Menschen zusammen. Die meisten Veranstaltungen sind überschaubar, sind in Buchhandlungen oder Galerien, wo zwanzig, dreißig Leute zusammensitzen. Das ist kein Branchentreffen wie in Leipzig und es gibt keine internationale Ausrichtung wie bei der lit.Cologne. Wir hoffen sehr, die Literaturnacht wie geplant durchführen zu können, aber das hängt natürlich davon ab, wie sich die Situation entwickeln wird.

Wer jetzt eine Karte kauft, kann sie später zurückgeben, wenn es zu gesundheitlichen oder terminlichen Problemen kommt?

BF: Karten sollten dann erstattet werden können.

Die erste Ausgabe schien ein Erfolg gewesen zu sein, oder wie sehen Sie das im Rückblick?

UK: Es war ein großer Erfolg. Wir waren unmittelbar vor Beginn etwas nervös, und wir waren sehr gespannt, ob das alles so funktionieren würde, wie wir uns das gedacht haben. Doch dann ist der Plan ziemlich gut aufgegangen. Das Feedback, das wir erhalten haben, war durch die Bank positiv, die Menschen sind mit dem Programm in der Hand durch die Stadt gezogen, von Ort zu Ort. Der Großteil der Veranstaltungen war gut bis sehr gut besucht und es herrschte eine wunderbare Stimmung.

BF: Ein wichtiger Effekt, den wir mit der Literaturnacht erzielen wollten, war, die Szene von innen zu stärken. Und das ist auch passiert. Da fand ganz starke Netzwerkarbeit statt, Menschen der Literaturszene haben sich kennengelernt; neue Orte sind erschlossen, neue Kooperationen entwickelt worden. Direkt nach der ersten Literaturnacht haben Leute gesagt: Wir wollen beim nächsten Mal dabei sein, wann wird das stattfinden? Das war ein wunderbarer Effekt, weil so viele mitgemacht haben. Es war kein aufgepfropftes Projekt, sondern eines aus der Szene heraus. Wir wollten nach dem tollen ersten Auftritt das Angebot eigentlich überschaubarer halten. (lacht) Das hat nicht geklappt. Denn diesmal wollten noch mehr mitmachen und es gab jede Menge interessanter Veranstaltungsideen.

UK: Es werden 57 Orte sein, beim letzten Mal waren es 42. Ja, die Vernetzung hat dadurch viel gewonnen, aber es ist auch viel nach außen getragen worden. Es gibt hier zum Beispiel eine ganze Menge Literaturinitiativen, die einem Großteil der Menschen noch gar nicht so bekannt waren. Es war ein wunderbarer PR-Abend für das, was hier literarisch in Köln geschieht und angeboten wird.


Foto: Jan Schliecker

Viele Initiativen wie das Literaturatelier sind öffentlich gar nicht so präsent. Welches sind denn aktuell die spannendsten Initiativen?

UK: Es ist immer sehr schwierig, welche herauszugreifen und andere unerwähnt zu lassen. Aber Land in Sicht ist zum Beispiel eine tolle Initiative, die kleine aber feine Veranstaltungen anbieten – meistens im Café Fleur. Bei der diesjährigen Literaturnacht stellen sich die Macher mit eigenen Texten vor, das finde ich eine ganz spannende Sache, oder die feministische Literaturinitiative Insert Female Artist, die im letzten Jahr gegründet worden ist und einen großen Aufschlag in der Alten Feuerwache hatte. Die Initiatorinnen sind ebenfalls mit einer eigenen Veranstaltung dabei. Das sind zwei sehr spannende und zeitgemäße Projekte.

BF: In diesem Jahr wird auch eine Schau jüngerer Zeitschriften dabei sein. Neue Formate haben auch Tilman Strasser und Dorian Steinhoff entwickelt. Uwe Kalkowski hat aber natürlich recht, wir können jetzt den Scheinwerfer nicht nur auf wenige richten, denn auch Initiativen wie das Literaturatelier, die schon lange dabei sind – über 30 Jahre – machen eine sehr wichtige Arbeit. Schön ist, dass es manche Projekte schon länger gibt, und hier kriegen sie auf einmal die Möglichkeit, etwas vorzustellen, und das nutzen sie auch.

Die Literaturnacht soll wieder zu einer Art Entdeckungsreise anregen, wie sieht es da geografisch aus mit der Erreichbarkeit von Veranstaltungsorten im Zentrum und in der Peripherie?

UK: Der Schwerpunkt liegt schon in der Innenstadt, vom Belgischen Viertel, Südstadt, Ecke Carré. Dann gibt es noch Einzelveranstaltungen etwa in Deutz. Wir haben in Dellbrück drei Veranstaltungen, die – wie im letzten Jahr – von der Buchhandlung Baudach organisiert werden, die da vor Ort sehr engagiert ist. Auch in Sülz oder Nippes gibt es je drei Veranstaltungen. Man kann so in den Stadtteilen starten und später durch die Innenstadt weiterziehen. Kommt darauf an, wie man sich den Abend organisiert, um mit dem Ticket möglichst viel machen zu können. Es läuft vieles gleichzeitig, aber ich denke, es ist für jeden und jede etwas dabei.

Letztes Mal wurden nicht unbedingt die 40 Minuten pro Veranstaltung eingehalten, dann wurde es schwer, plangemäß weiterzuziehen. Wird dann mehr darauf geachtet werden?

BF: Genau genommen haben wir es diesmal ein wenig lockerer angepackt, weil wir gesagt haben: Es hält sich eh keiner dran. (lacht) Die Taktung ist ein bisschen aufgeweicht.

Fangen dann also auch Sachen um halb an?

UK: Die meisten sind schon auf die Stunde getaktet und sollen wie das letzte Mal 40 Minuten dauern. Ich denke, man muss das den Mitwirkenden noch einmal an Herz legen, das war letztes Mal bei der Umsetzung schon auch so ein Knackpunkt. Allerdings ist es organisatorisch kaum möglich, es anders hinzubekommen, man müsste dann 57 Veranstaltungsorte irgendwie aufeinander „eintakten“, was kaum machbar ist.

Es gibt dann das Gesamtticket, aber wohl auch Einzeltickets.

UK: Wenn man nur eine Veranstaltung besuchen will, kann man direkt hingehen und dort ein Einzelticket kaufen. Man kann auch an den Abendkassen Tickets für den gesamten Abend kaufen, bei diesen ist dann allerdings kein KVB-Ticket mehr inklusive, das für die An- und Abreise zur Literaturnacht genutzt werden kann. Ein Gesamtticket mit KVB-Fahrkarte gibt es nur im Vorverkauf über KölnTicket.

Im Literarturhaus gibt es unter anderem ein Speed-Dating mit vier Autoren, in der Comedia scheint es drei längere Veranstaltungen zu geben, darunter eine über den Krieg.

UK: Das Programm in der Comedia hat unser Verein Literaturszene selbst zusammengestellt, und dadurch, dass die Literaturnacht am 9. Mai stattfindet, einen Tag nach dem 75. Jahrestag des Kriegsendes, ist das eine Veranstaltung, die uns sehr am Herzen liegt. Es werden Texte vorgestellt – Zeitzeugenberichte, journalistische Texte, Tagebucheinträge – aus der Zeit des Weltkriegs in Köln. Gelesen werden sie von Mariele Millowitsch und…

BF: Philipp Schepmann, der ein ganz großartiger Vorleser ist…

UK: Genau. Dazu gibt es Projektionen und es wird ein literarischer Gedenkabend, für mich ein spannendes und wichtiges Thema. Dafür sind 90 Minuten vorgesehen.

Schreiben heute noch viele über Köln selbst? Die älteren Autoren scheinen nicht unbedingt am gegenwärtigen Kölner Alltag interessiert, der wird eher von den jüngeren eingefangen.

BF: Das kann ich so nicht bestätigen. Es kann aber durchaus sein, dass sich diejenigen, die noch nicht so lange in der Stadt sind, einfach mehr mit den Lebens- und Arbeitsumständen in Köln beschäftigen.

UK: Die Frage ist auch, was „jung“ bedeutet. Es gibt auch Autoren, die über 40 sind und sich mit der Stadt sehr intensiv auseinandersetzen.

BF: Für die Kölner Literaturnacht spielt Köln auch als Thema eine große Rolle. Da möchte ich auch auf Jürgen Becker hinweisen, Büchner- und Böll-Preisträger und für mich eine der wichtigsten literarischen Stimmen, die wir in Köln haben. Er ist ein Autor, der sich intensiv mit dem auseinandersetzt, was ihn umgibt. Also ist das nicht generationenabhängig.

Jeder macht es auf unterschiedliche Weise.

BF: Ja, auf unterschiedliche Weise. Ihre Frage macht uns darauf aufmerksam, dass Köln eines der heimlichen Themen unserer Literaturnacht ist: Wie gehe ich mit dem Ort um? In der Lengfeld’schen zum Beispiel werden bei der Literaturnacht sehr verschiedene Antworten darauf zu hören sein...

UK: Es gibt auch moderne Liebeserklärungen an die Stadt Köln, ein Beispiel dafür ist der schön gemachte Sammelband „Nachts nicht weit von wo“, der im Hostel Weltempfänger von drei der Autoren vorgestellt wird. Das Buch enhält ist Lyrik und Prosa, Fotos, begleiten die Texte eine ganze Nacht durch Ehrenfeld. Es geht um das Viertel Ehrenfeld und die Vielfalt dort, um Urbanität; gleichzeitig ist es eine Metapher für das Leben in der Großstadt mit Ehrenfeld als Beispiel.

Es gibt auch immer mehr Zugewanderte, die auf Köln reagieren oder zumindest hier arbeiten. Wie prägt diese Literatur der Migranten die Literaturszene der letzten, sagen wir, zehn Jahre?

BF: Also ich glaube es gibt mehrere positive Entwicklungen in der Kölner Literaturszene. Eine ist: Die Szene hat sich verjüngt. Und die Jüngeren sagen offenbar: Das ist der Ort, den wir literarisch lebendig machen wollen. Die Szene ist auch größer geworden und diverser. Menschen mit anderen Themen und Erfahrungen bereichern unsere Kultur. Nehmen wir Doğan Akhanlı oder Jabbar Abdullah – sie leben in Köln und sensibilisieren die Stadtgesellschaft für ihre Themen. Wenn ein Autor wie Doğan Akhanlı im NS-Dokumentationszentrum seinen Roman vorstellt, dann schärft das sicherlich unser aller Blick. Wir nehmen vieles für selbstverständlich, das es nicht ist. Eine Literaturnacht präsentiert eine Vielfalt der Stimmen. Unsere Gesellschaft mag zwar heute in der gemeinsamen Sorge über die Entwicklung des Virus verbunden sein – aber wir dürfen darüber ja nicht vergessen, dass die Bedrohung derzeit vor allem durch politische Extreme geschieht. Da ist es sehr gut, in der Literaturnacht Autoren wie zum Beispiel Bachtyar Ali oder Doğan Akhanlı zu hören – Stimmen, mit denen wir uns auseinandersetzen sollten und die unseren Blick weiten und offen halten.

2. Kölner Literaturnacht | Sa 9.5. 15.30-24 Uhr | koelner-literaturnacht.de

Interview: Jan Schliecker

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