Wop! Die Martinsgans war ein erster Vorgeschmack. Außen knusprig, innen zart wie Butter. Wie sagt man so schön? ’ne echte Wucht! Von den Kalorien leider nicht minder. Doch die sind beileibe nicht der einzige Grund, warum sich Bürgerinnen und Bürger derzeit schweißgebadet in ihren Betten wälzen. Wie ein wild gewordener Mob tobt der Vorweihnachtsstress des Nächtens durch ihre Hirnwindungen (was wiederum zu noch reichhaltiger Nahrungszufuhr führt). Also: Höchste Eisenbahn auch bei den Literaturempfehlungen mal auf leichte Kost umzusatteln.
„Rechts blinken, links abbiegen“ [Kein & Aber]: Klingt nicht nur vom Titel nach tragikomischer Realsatire. Sonja, 42, will endlich den Führerschein machen, um aus der Sackgasse ihrer grenzenlosen Singlefreiheit zu entkommen. Doch schon beim Schalten gehen die Probleme los. Ein gefundenes Fressen für ihre metaphorisch hochbewanderte Massagetherapeutin, die selbstredend auch für Sonjas Lagerungsschwindel oder ihre Fußfehlstellung eine psychosomatische Weisheit parat hat. Bitter und komisch zugleich. Ohne große Gefühlsduselei gelingt es Dorthe Nors, ein einfühlsames Portrait im Schatten der immer wieder heraufbeschworenen trauten Zweisamkeit zu zeichnen.
Kommt bei der jungen Dänin der (schwarze) Humor hin und wieder ein wenig zu kurz, so ist man bei Jeremy Massey angenehm überrascht, dass „Die letzten vier Tage des Paddy Buckley“ [carl's books] nicht ins Alberne abdriften. Als Bestatter sollte man die Finger von der Witwe lassen. Erst recht, wenn diese eine Herzschwäche hat. Und ganz erst recht natürlich von der Tochter, nachdem man ihre Mutter ungewollt ins Jenseits vertröstet hat. Da ist man dann schon mal so durch den Wind, dass man aus Versehen den Bruder des meist gefürchteten Gangsters überfährt, dessen Beerdigung Paddy in der Folge auch noch zu übernehmen hat … Hier nicht eine „Nackte Kanone 66 1/6” zu produzieren, sondern eine leichtfüßige Love‘n‘Crime-Ballade, zeugt von großer Kunst und geerdetem irischem Witz.
Mit dem Tod kann man‘s ja machen. Beim Thema Fußball hingegen bewegt man sich auf einem ausgemachten Minenfeld. Da hilft auch nicht der Sprung in die Vergangenheit, als in den unteren Ligen noch ein paar erste schmalspurkriminelle Spielervermittler ihr geschäftliches Unwesen suchten und ein drömmeliger Käseblattschreiberling mal eben in ein solches Skandälchen reinrutschen konnte. Mit ‚Investigation‘ hat „Schweine befreien“ [Verbrecherei] von 11 Freunde-Autor Jens Kirschnek dann auch wenig zu tun. Sein Anti-Held Grabowski kann es einem jedoch durchaus antun, wie er so ‚some-30-leutselig‘ durch die Welt tapert. Irgendwie liebenswert retro-romantisch.
D.W. Wilsons Protagonisten haben da einen ganz anderen Wumms. Ob Knabe, Halbstarker oder gestandenes Mannsbild, die unwirtliche Kleinstadtöde am Rande der kanadischen Rockies macht aus ihnen samt und sonders bodenständige Kämpfernaturen, die trotzdem oder vielmehr deswegen „Den Boden nicht berühren“ [dtv]. Umso charmanter, ehrlicher schillern ihre Gefühle, Träume, Sehnsüchte durch die rauen Short Stories, während sie in natura ungesehen am nächtlichen Sternenhimmel verglühen. Von Erlösung keine Spur. Dafür fühlt man sich als Leser im Kampf gegen die (weihnachtlichen) Windmühlen nicht mehr ganz so allein …
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