„Müssen wir nicht neue Strategien und Strukturen entwickeln, um die Kunst zu erhalten? Die Kulturverwaltungen verstehen längst nicht mehr, was wir brauchen“, sagt die Choreographin Silke Z. Mit anderen Choreographen hat sie das Netzwerk studiotrade aufgebaut, das es Tänzern ermöglicht, überall in Europa zu produzieren und aufzuführen. Will man in Irland arbeiten, steht ein Theater und ein Cottage zum Aufenthalt bereit, es kann aber auch in Finnland, Frankreich, England, Portugal, Island oder Litauen produziert werden. In Köln ist das Studio 11 in Ehrenfeld der Ort des Austauschs von Ideen und Inspiration. Eines der wenigen Fenster in Köln, die den Blick auf das internationale Tanzgeschehen noch freigeben
„Das Netzwerk funktioniert, weil wir keine Institution sein wollen“, erklärt die Kölner Choreographin, „wir sind Partner, arbeiten professionell und vertrauen einander. Wenn mir eines der Mitglieder eine Gruppe empfiehlt, kann sie bei uns aufführen. Sie wird gut sein, auch wenn sie meinem persönlichen Geschmack nicht entsprechen muss. Unablässig bewegen sich auf diese Weise die Künstler innerhalb des Netzwerks durch Europa“. Von der EU hat man keine Gelder beantragt, weil man unabhängig sein will und sich gegenseitig mit Knowhow und Material hilft. Das funktioniert besser als der Dialog mit kommunalen Einrichtungen, „denn Verwaltungen haben ihre Richtlinien, die sind unseren Bedürfnissen aber artfremd“, fügt sie hinzu.
Eine tapfere Haltung, die neue Strukturen der Selbsthilfe knüpfen will. Denn die Zeiten werden nicht besser werden. Auch das Studio 11 kommt mit seiner Existenz ins Schlingern, nachdem die hauseigene Reihe „Wie Leben geht“ vom Land NRW nicht mehr gefördert wird. Aufführungsorte sind eben abhängig von ihrem angestammten Programm, so einfach stellt sich manchmal die Realität dar. Das Studio bringt ästhetisch frischen Wind nach Köln, den gibt es sonst nur in der Tanzhalle von Barnes Crossing, dem anderen etablierten Tanzort, der aber nur noch auf Abruf existiert. Die Alte Feuerwache – der ewige Notnagel – hat inzwischen so viele Funktionen als Kulturzentrum zu erfüllen, dass sie dem Tanz keine zusätzlichen Kapazitäten mehr zu bieten vermag.
Jetzt zeigt sich, dass der zu erwartende Tanzhaus-Crash auch deshalb verheerende Folgen hat, weil nach dem teuren Scheitern des Großprojekts keine Vision mehr für den Freien Tanz entwickelt wurde. Das Land zieht sich nicht alleine aus der Tanz-Reihe „Wie Leben geht“ zurück, sondern kürzt auch „Tanztausch“ – dem einzigen noch verbliebenen internationalen Tanzfestival der Domstadt – die Hälfte der Mittel. Offenbar gibt man dem Tanz in NRWs Kulturmetropole keine Zukunft mehr. Das ist bitter, aber verwunderlich ist es nicht. Mit den fehlenden Impulsen für einen Tanzort blieb der vagabundierenden Gemeinde von Tanzfans nur ein notdürftiges Angebot an Produktionen.
Fatal, dass sich gerade in dem Moment, als das Rautenstrauch-Joest-Museum im Zentrum der Stadt sein luftiges Foyer großzügig für Inszenierungen zur Verfügung stellte, aufgrund der bevorstehenden Schließung des Hauses eine weitere Chance verweht. Das Netzwerk von studiotrade entwickelt sich derweil fort, die Europäer nahmen Kontakt mit Kollegen aus Afrika auf, dort existiert ein ähnliches Netzwerk zwischen dem Senegal, Mozambique und dem Kongo. Von dort kommt Michel Kiyombo, der am 19. März tanzend die Lebensgeschichte seines Vaters unter dem Titel „Masu Kaino“ erzählen wird.
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