Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
23 24 25 26 27 28 29
30 31 1 2 3 4 5

12.583 Beiträge zu
3.812 Filmen im Forum

Maha Haj zu Gast im Filmhaus Köln
Frank Brenner

Bruch mit arabischen Stereotypen

04. Mai 2023

„Mediterranean Fever“ im Filmhaus – Foyer 05/23

Mittwoch, 3. Mai: Nachdem Maha Hajs zweiter Langfilm „Mediterranean Fever“ im vergangenen Jahr in Cannes seine Weltpremiere gefeiert hatte (und dort mit dem Preis für das beste Drehbuch in der Sektion „Un certain regard“ bedacht wurde), lief der Film bereits auf den 1. Palästina-Filmtagen Köln im November 2022 in einer Deutschlandpremiere. Anlässlich des bundesweiten Kinostarts des Films in dieser Woche befindet sich die palästinensische Filmemacherin derzeit auf einer Kinotour, bei der sie am Abend des 3. Mai zunächst im Filmhaus Köln und anschließend im Apollo in Aachen Station machte. Im Gespräch mit dem Filmhaus-Theaterleiter Henner Branding äußerte sich Maha Haj nach der Projektion zu ihrem wilden Genregemisch aus Krimi, Buddy Movie, Komödie und Charakterdrama: „Wenn ich ein Drehbuch schreibe, geht es mir zunächst nur um die Geschichte, die ich erzählen will. Hinsichtlich des Genres habe ich in diesem Stadium noch keinen konkreten Plan. Bei ‚Mediterranean Fever‘ ist die Einordnung auch erst beim Rohschnitt zustande gekommen, und die finale Untergliederung in Genrekategorien nehmen dann die Produzenten oder die Verleiher eines Films vor, was ich aber gar nicht schlimm finde.“


Henner Branding und Filmemacherin Maha Haj, Foto: Frank Brenner

Mit Sarkasmus gegen Depressionen

Offensichtlich bei Hajs zweitem Langfilm ist, dass die zentrale Figur Waleed unter Depressionen leidet. Für Haj sei dies der Ausgangspunkt für ihr Drehbuch gewesen, und es sei ihr auch sehr leicht gefallen, diesen Charakter zu schreiben, da sie selbst jahrelang unter Depressionen gelitten habe, bei denen die verschiedenen Behandlungen wirkungslos blieben. Insofern sei es durchaus legitim, dass „Mediterranean Fever“ so voller sarkastischem Humor stecke. „Ich mache mich nicht über die Schmerzen und Qualen anderer lustig, sondern über meine eigenen. Wir Palästinenser haben ohnehin oftmals eine sehr sarkastische Lebenseinstellung“, so Maha Haj weiter. Ihr Film würde ihre Nation ein Stückweit bloßstellen, denn nach Ansicht der Filmemacherin leiden die Palästinenser per se an einer kollektiven Depression, die sich ein Stückweit sicherlich auch aus der israelischen Besatzung ihres Landes speist. Gleichwohl muss man die politischen Hintergründe, die sehr subtil in die Handlung eingeflochten sind, nicht vollends verstehen und kann den Film auch unabhängig davon als Studie einer individuellen Depression lesen. Dazu merkte die Regisseurin an: „Mir persönlich war es wichtig, die politische Komponente in meinem Film anzusprechen, aber er sollte nicht zu einer Lehrstunde werden und durchaus auch unterschiedlich gelesen werden können.“


Haj beim Publikumsgespräch, Foto: Frank Brenner

Ohne israelische Beteiligung

Da Haj für ihr 2016 entstandenes Regiedebüt „Personal Affairs“ (Omor Shakhsiya) eine israelische Filmförderung erhalten hatte, wurde der Film deswegen in den arabischen Ländern boykottiert. Das sollte bei „Mediterranean Fever“ nicht noch einmal passieren, weswegen sie ihn als Koproduktion der Länder Deutschland, Frankreich, Zypern, Katar und Libyen realisierte und auf israelische Unterstützung verzichtete. Auf diese Weise konnte er nun auch erfolgreich in arabischen Ländern gezeigt werden, was Haj sehr wichtig war. Mit den typischen arabischen Männer-Stereotypen hat sie in ihrem Film gleichwohl gebrochen. Die vier zentralen Männerfiguren sind allesamt auf die eine oder andere Weise krank, ihre Frauen sorgen für ihren Lebensunterhalt. Somit sind sie keineswegs die klischeebehafteten palästinensischen Helden und Freiheitskämpfer, sondern „sensible Underdogs, die leise leiden und größtenteils passiv bleiben“. Ab heute ist „Mediterranean Fever“ regulär im Filmhaus Köln und im Kino in der Brotfabrik in Bonn zu sehen.

Frank Brenner

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Heretic

Lesen Sie dazu auch:

Stark durch Solidarität
„Billige Hände“ im Filmhaus – Foyer 12/24

Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24

Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24

Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24

Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24

Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24

Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24

Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24

Ungewöhnliches Liebesdrama
„Alle die du bist“ im Odeon – Foyer 05/24

Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Filmpalast – Foyer 04/24

Gegen die Marginalisierung weiblicher Körper
„Notre Corps“ im Filmforum – Foyer 04/24

Rechtsextreme Terroranschläge
„Einzeltäter Teil 3: Hanau“ im Filmhaus – Foyer 02/24

Foyer.

HINWEIS