choices: Frau Ulferts, wie viel zahlen menstruierende Menschen für die Monatshygiene?
Claudia Ulferts: Es hängt davon ab, was sie dazu zählen. Wenn sie nur die Hygieneprodukte nehmen und vielleicht noch einfache Schmerzmittel, dann kommen sie wahrscheinlich mit fünf Euro im Monat aus. Wenn man Wärmepflaster, Entspannungstees oder krampflösende Mittel wie Buscopan oder Dolormin dazu rechnet, dann sind es eher fünfzehn Euro im Monat. Das lässt sich pauschal schwer sagen, es hängt von den Bedürfnissen der Mädchen und Frauen ab. Der Zyklus dauert im Schnitt etwa 38 Jahre. Bei fünf bis fünfzehn Euro im Monat kommt schon einiges zusammen. Man muss auch in Betracht ziehen, dass das Leben aufgrund von Inflation und Energiekrise sowieso viel teurer geworden ist. Und wenn wir von Periodenarmut sprechen, reden wir vor allem von Geringverdienenden – jungen Frauen in Berufen mit geringen Einkünften, Studentinnen oder Schülerinnen. Vor diesem Hintergrund ist das tatsächlich eine Belastung.
„Jede dritte Frau hat keine Möglichkeit, eine richtige Toilette aufzusuchen“
Schätzungen zufolge haben eine halbe Milliarde Betroffene weltweit keinen Zugang zu Menstruationsprodukten.
Mit diesen Zahlen ist das immer so eine Sache, sie zu erheben, ist unglaublich schwierig. Die Vereinten Nationen nennen jedoch Zahlen zu den nachhaltigen Entwicklungszielen, unter anderem zu Wasser und Hygiene. Jede dritte Frau hat keine Möglichkeit, eine richtige Toilette aufzusuchen. Außerdem hat jede fünfte Grundschule keinen Zugang zu sauberem Wasser, und an jeder zweiten Grundschule gibt es keine nach Geschlecht getrennten Toiletten. Das sind unterschiedliche Zahlen, sie spielen aber alle eine große Rolle. Es ist sehr wichtig für Mädchen und Frauen, dass Wasser und Toiletten vorhanden sind, um sich während der Periode versorgen zu können. Ansonsten verpassen Mädchen oft mehrere Tage im Monat die Schule.
Was sind die Ursachen?
In vielen armen Ländern leben Frauen in abgelegenen Regionen, sie können nicht einfach in den nächsten Laden gehen und Binden kaufen. Viele Menschen leben auch hauptsächlich von Subsistenzwirtschaft, also von dem, was sie produzieren und haben gar kein Bargeld. Hinzu kommt, dass Stoffbinden oder Tampons in vielen Ländern vergleichsweise teure Produkte sind. Wir haben vor zwei Jahren mit Gesundheitsexpert:innen von Plan in unseren Projektländern eine Umfrage gestartet und wollten wissen, was bekommt man als Pendant für den Preis einer Packung Binden? Die Antworten waren sehr erhellend. In Kolumbien konnte man für ein Paket Binden vier Kilo Reis kaufen. In Guatemala eineinhalb Kilo Bohnen, davon kann man drei bis vier Tage eine Familie ernähren. In Bangladesch war der Gegenwert vier Kilo Mehl. Man kann sich also vorstellen, was es bedeutet, Hygieneprodukte kaufen zu müssen – die Menschen müssen Prioritäten setzen.
„Beim Thema Menstruation muss man weit denken“
Hinzu kommen die weltweiten Krisen: Die Corona-Pandemie hat für Engpässe gesorgt. Infolge des Krieges in der Ukraine hat sich auch in armen Ländern vieles verteuert. Die Folgen des Klimawandels spielen ebenfalls eine Rolle. Dürren nehmen weltweit zu, dadurch wird der Zugang zu Trink- und Waschwasser immer schwieriger. In den Subsahara-Ländern Afrikas beispielsweise hat nur die Hälfte der Bevölkerung Zugang zu einer Wasserquelle, die höchstens fünfzehn Minuten Fußweg entfernt ist, die andere Hälfte muss Wasser aus weiter Entfernung heranschaffen. Es sind traditionell Mädchen und Frauen, die Wasser holen. Laut der NGO Wateraid verwenden Mädchen und Frauen weltweit 200 Millionen Stunden darauf, Wasser zu beschaffen. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass bei Wasserknappheit priorisiert wird, wofür es verwendet wird – zum Waschen ist dann wahrscheinlich eher weniger Wasser da als zum Trinken und Kochen. Beim Thema Menstruation und Periodenarmut muss man weit denken, weil es so viele Anforderungen und Probleme gibt.
Wo sind die Probleme am größten?
Mit sehr großen Herausforderungen haben Mädchen und Frauen in Migrations- und Fluchtkontexten zu kämpfen – dem wird viel zu selten Aufmerksamkeit geschenkt. Beispiel Venezuela-Krise: Sechs Millionen Menschen haben ihr Land verlassen, sie laufen zum Teil hunderte Kilometer durch unwegsames Gelände. In solchen Lebensumständen die Periode zu bekommen, ist wirklich eine maximale Herausforderung. Ein gutes Beispiel ist auch die Situation am Horn von Afrika, wo Millionen Menschen aufgrund von Dürren fliehen müssen und viele dann in provisorischen Camps leben, ohne oder mit unzulänglichen Sanitäranlagen. Plan International verteilt in der humanitären Hilfe deshalb nicht nur Wasser und Nahrung, sondern auch so genannte „Dignity-Kits“ mit Binden und Seife.
„Jüngere Frauen sind viel stärker betroffen“
Wie sieht die Situation hierzulande aus?
Jede vierte Befragte hat laut unserer Umfrage gesagt, dass die Ausgaben für die Bewältigung der Periode für sie eine Belastung seien. In der jüngsten befragten Gruppe zwischen 16 und 24 Jahren gab sogar jede Dritte an, sich Periodenprodukte nicht immer leisten zu können. Das zeigt, dass jüngere Frauen viel stärker betroffen sind. Jede Zweite sagte, sie würde sich besser versorgen, wenn Binden und Tampons günstiger wären. Bei den 16- bis 24-Jährigen sagten das sogar drei von vier Befragten. Das lässt sich damit erklären, dass junge Frauen oft weniger Geld haben, da sie in Ausbildungen sind, die gering vergütet werden, oder da es sich um Studentinnen handelt, die Bafög bekommen oder Schülerinnen mit wenig Geld. Wir vermuten, dass auch Frauen betroffen sind, die Bürgergeld beziehen, also ehemalige Hartz IV-Empfängerinnen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband gibt jedes Jahr einen Armutsbericht heraus: Demnach lag der Satz für Körperpflege für Menschen, die 2022 Hartz IV bezogen, im Bereich Körperpflege bei 16 Euro. Es müsste aber mindestens das Doppelte sein, forderte der Verband, denn in dem Satz ist alles mit eingerechnet: rezeptfreie Medikamente, Duschgel, Zahnpasta, Haarbürste, oder wenn die Brille mal repariert werden muss. Diese Summe wurde beim Bürgergeld nun auf 19 Euro erhöht, ist aber immer noch sehr gering. Fünf Euro für Menstruationsprodukte können dann schon zum Problem werden. Nicht vergessen werden dürfen obdachlose Frauen: Laut Social Period, einer Organisation, die sich in Berlin um die Periode von wohnungslosen Frauen kümmert, gibt es dort etwa 2500 Frauen, die auf der Straße leben und entsprechend betroffen sind.
Warum ist Periodenarmut im wohlhabenden Deutschland so verbreitet?
Weil die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht. Wir sind zwar insgesamt betrachtet ein wohlhabendes Land, aber es gibt eben auch unglaublich viele Menschen hier, die mit sehr wenig Einkommen auskommen müssen. Laut dem Armutsbericht 2022 ist jede:r Siebte von Armut betroffen, ein Höchststand. Unter den jüngeren Frauen gilt sogar jede Vierte als arm. Das deckt sich mit unserer Befragung, nach der jüngere Frauen deutlich häufiger von Periodenarmut berichtet haben, nämlich 27,6 Prozent der 18- bis 25-jährigen.
Wie behelfen sich die Betroffenen?
Hierzulande sagte in unserer Befragung jede Zehnte, dass sie den Wechsel von Hygieneprodukten bewusst hinauszögert, um länger damit auszukommen – den Herstellern zufolge sollten Binden und Tampons aber alle vier bis sechs Stunden gewechselt werden. Jede Siebte sagte außerdem, dass sie versucht, so wenig Tampons und Binden wie möglich zu verwenden, um länger damit auszukommen. Wenn Tampons oder Binden zu lange getragen werden, nehmen gesundheitlich Risiken zu, vor allem Harnwegsinfekte. Im schlimmsten Fall kann es zum „Toxic Shock Syndrom“ kommen. Das passiert sehr selten, ist aber umso dramatischer, da schon junge Frauen und Mädchen daran gestorben sind. Die psychischen Folgen haben wir nicht abgefragt, aber es ist natürlich ein schambehaftetes Thema. Keine Frau wird gerne sagen: ich habe nicht genügend Geld für Produkte, um mich zu versorgen. Das hat auch damit zu tun, dass Menstruation immer noch ein großes Tabu ist. 97 Prozent gaben an, dass ein Blutfleck auf der Kleidung die peinlichste vorstellbare Situation ist. Gleichzeitig sagt jede Dritte, sie möchte sich nicht mehr für ihre Periode schämen müssen. Es wird leider häufig noch als reines Frauenthema betrachtet. Dabei sollte es völlig normal sein, darüber zu reden.
„Es kommt vor, dass Mädchen die Schule abbrechen, sobald ihre Periode einsetzt“
Wie behelfen sich Betroffene in armen Ländern?
Überwiegend mit auswaschbaren Stoffbinden oder Lappen. Dort sind die Folgen von Periodenarmut am größten, denn wenn Mädchen und Frauen keinen Zugang zu vernünftigen sanitären Anlagen und zu Hygieneprodukten haben, verlassen viele während der Periode ungern das Haus. Mädchen können dann wichtige Unterrichtstage verlieren, Frauen Arbeitstage. Es kommt auch vor, dass Mädchen die Schule ganz abbrechen, sobald ihre Periode einsetzt. Weil sie dann zusätzlich fürchten müssen, Opfer sexualisierter Gewalt zu werden – sofern es keine Toiletten oder sehr schlecht ausgestattete gibt, die sich zum Beispiel nicht abschließen lassen.
„Wir müssen bei der jüngsten Zielgruppe anfangen“
Was ist gegen Periodenarmut zu tun?
Ganz klar, wir müssen bei der jüngsten Zielgruppe anfangen. Es sollte in allen Schulen, Universitäten und öffentlichen Einrichtungen kostenlos Produkte für den Notfall geben: Gratis-Tampons und Binden müssen ebenso selbstverständlich vorhanden sein wie Toilettenpapier. Außerdem wünschen sich die Befragten periodenfreundliche Toiletten, die mit Mülleimern, Hygienebeuteln und Seife ausgestattet sind. Viele sagten, ich gehe möglichst gar nicht auf eine öffentliche Toilette, sondern warte, bis ich zuhause bin. Eine bessere Versorgung in Schulen und öffentlichen Gebäuden wirkt Periodenarmut entgegen, hilft aber auch Frauen ganz allgemein, wenn sie unterwegs ihre Periode kriegen, aber nichts dabeihaben. Es gibt mittlerweile viele Pilotprojekte in Deutschland, um Periodenarmut zu bekämpfen. In zahlreichen Städten und Kommunen bieten Schulen oder Universitäten testweise gratis Tampons über Automaten an. Mädchen und Frauen greifen auf diese Angebote in der Regel zurück, wenn sie wirklich in einer Notlage sind. Solche einzelnen Initiativen reichen aber nicht. Die Regierung sollte die Finanzierung für eine flächendeckende Versorgung mit kostenlosen Tampons und Binden sicherstellen, so wie das in Schottland schon der Fall ist. Bislang handelt es sich bei uns oft um zeitlich begrenzte Pilotprojekte und am Ende steht dann die Frage im Raum, wie es mit der Finanzierung weiter geht. Menstruation ist keine Wahl, deshalb kann und darf es in einem Land wie Deutschland keine Periodenarmut geben.
Meine Meinung zu diesem Thema
DER GESCHMACK VON BLUT - Aktiv im Thema
profamilia.de/angebote-vor-ort/nordrhein-westfalen/beratungsstelle-koeln-zentrum/sexualpaedagogikyouthwork | Profamilia bietet sexualpädagogische Beratung für Jugendliche, Eltern und Institutionen an.
andheri-hilfe.de/informieren/gesundheit-ermoeglichen/tabu-menstruation-in-indien | Die in Bonn ansässige NGO Andheri Hilfe erklärt, welche Folgen das Menstruations-Tabu in Indien für die Betroffenen hat.
zukunftsinstitut.de/artikel/zukunftsreport/menstruation-wird-mainstream | Der Beitrag des Zukunftinstituts wägt ab, ob in Fragen der Menstruation nun endlich aufgeklärte Zeiten anbrechen.
Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
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