„If she can´t see it, she can´t be it!“ Auch dieses Geena-Davis-Zitat fällt bei einer Diskussionsrunde des Internationalen Frauenfilmfestivals. Mediale Repräsentation von Frauen und ihre Vorbildfunktion ist aber nur ein Thema von vielen. Denn die Liste der Baustellen in der Filmindustrie ist lang. Deutschland tut sich noch schwer mit der Aufarbeitung der herrschenden Missstände, in England ist man einen Schritt weiter:
Das British Film Institute in London hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Ungleichheiten erst überhaupt einmal ausfindig zu machen, indem Filme analysiert und Daten gesammelt werden. Melanie Hoyes zeigt bei der Diskussion „Diversity Standards“ die ersten Ergebnisse: eine erschreckende, wenn auch nicht überraschende Bilanz. Vom Anteil der Beschäftigten generell, über den Anteil der Beschäftigten in den prägenden Bereichen Regie, Kamera und Sound über Filmtitel und Filmfiguren: Alles ist männlich dominiert.
Der Status quo: ein ernüchterndes Bild
Und bald wird klar: Nicht nur Frauen sind unterrepräsentiert, sondern auch andere Gruppen, die nicht dem maskulin-heteronormativen Bild entsprechen. „Black people – sofern sie denn im Film vorkommen – dürften sich beispielsweise nie einfach so verlieben. Oft übernehmen sie immer noch die Gangster-Parts“, erklärt Melanie Hoyes anhand einer Statistik des BFI.
Dadurch, dass auch andere Subgruppen wie „disabled people“ und „people of lower classes“ in der Filmlandschaft außen vor gelassen werden, sehe sich die Gesellschaft gar nicht mehr im Kino repräsentiert und die Ticketverkäufe blieben aus. „Diversität hat nicht nur kulturellen und gesellschaftlichen Wert, sondern bietet auch ein ökonomisches Potenzial.“ Dafür nennt Hoyes das Beispiel des Films „Black Panther“. Die aktuelle Filmindustrie verspiele also gewaltige Chancen.
Die Teilnehmerinnen der Diskussion fordern Intersektionalität und Inklusion. Denn nur gemeinsam könne ein Wandel erreicht werden. Verschiedene Gruppen und Arbeitsfelder müssten zusammen agieren. Dabei ginge es auch darum, niemanden auszuschließen oder zurückzulassen. Und das nicht nur bei der Produktion, sondern auch auf der Leinwand.
Rapperin Sookee appelliert noch einmal an alle Verantwortlichen: „Es geht darum, Vorbilder zu schaffen! Als ich mit dem Rap anfing, war ich komplett auf mich gestellt.“ Einen ganz ähnlichen Impuls will auch die schwedische Filmemacherin Fanni Metelius geben, die mit ihrem Film „Hjärtat“ am Festival teilnimmt. „Ich wollte alles auf die Leinwand bringen, was ich immer sehen wollte, aber nie in Filmen finden konnte“. Deswegen setzt sie sich in ihrem Spielfilmdebut auch mit weiblicher Sexualität auseinander und zeigt ihren männlichen Hauptcharakter in einer ungewohnt passiven Rolle.
Die nächste Generation
Um auch für die Zukunft ein Bewusstsein für Diversität zu schaffen, findet auch in den Filmhochschulen ein Umdenken statt. Damit die Studierenden Gender-Kompetenzen entwickeln, werden spezielle Workshops und Kurse angeboten. „Die Filmhochschulen schließen sich zusammen, um gemeinsam diese Entwicklung in Gang zu bringen“ berichtet Simone Stewens, Geschäftsführerin der Internationalen Filmschule (ifs) Köln, bei der Diskussion „Some like it equal“. Unter dem Begriff „Gendermonitoring“ gelte es, die aktuellen Verhältnisse erst einnmal sichtbar zu machen. Eine solche Weiterbildung sei gut und wichtig, da sind sich alle Diskussions-Teilnehmerinnen einig, werde aber nicht nur an Hochschulen gebraucht, sondern auch in der Branche selbst, bei Jurys und Förderungsgremien.
Denn auch wenn das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Studierenden noch annährend ausgeglichen ist, sieht es in der Berufspraxis ganz anders aus. Nicht einmal die Hälfte aller ausgebildeten Studentinnen kommt in der Branche überhaupt erst an. Dort folgt dann die nächste Hürde, denn Fakt ist: Frauen werden weniger und dann auch mit geringeren Beträgen gefördert. Die deutsche Kulturindustrie – zum Großteil mit den Steuern aller finanziert – wird also in keiner Weise der Bevölkerung gerecht. Zusammenschlüsse wie Pro Quote, Cinematographers XX und die der Filmhochschulen können zwar wichtige Anstöße geben, aber um die Buddy-Netzwerke der Branche aufzubrechen, brauche es verbindliche Regeln, so das Ergebnis der Debatte. Und die Filmbildung und Sensibilisierung für Gender reiche im Prinzip auch nicht aus. Für wirkliche Gleichberechtigung im Film müsse „Queer“ das neue Stichwort werden.
Es gibt also viele Anknüpfungspunkte, und dass Bewegung in die Branche kommt, ist auch nicht zu leugnen. Doch trotz alldem und trotz allen wertvollen Impulsen kann von Selbstläufern keine Rede sein: „Dinge verändern sich nicht – sie müssen aktiv verändert werden!“, postuliert Sandrine Micossé-Aikins („Diversity. Arts. Culture“). Denn das Filmfestival kann nur eine Etappe sein in einem Prozess, der von allen vorangetrieben werden muss – Filmemacher*innen, Industrie und Publikum.
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