Donnerstag, 12. November: Vom 18. bis 22. November 2020 sollte das Kurzfilmfestival Köln (KFFK) wie gewohnt in etlichen Kinos in der Domstadt seinen Fokus auf spannende neue Kurzfilme richten. Die für November deutschlandweit verhängten Corona-Richtlinien verhindern nun den physischen Teil des Festivals, was nun aber dazu geführt hat, dass ein etwas ausgedünntes Programm im Internet abzurufen ist – kostenlos und für jeweils bis 48 Stunden nach der Festivalpremiere. Die virtuellen Sitzplätze, für die man sich nach einer kurzen Registrierung anmelden kann, sind dabei auf jeweils 500 Stück begrenzt. Gleichwohl dürfte dieser Ansatz einer Menge interessierter Zuschauer sehr gelegen kommen, die dadurch weder die – verschwindend geringe – Gefahr einer Ansteckung vor Ort fürchten noch sich aus den eigenen vier Wänden heraus bewegen müssen, was zumindest für Nicht-Kölner durchaus ein Argument sein dürfte. Der genaue Zeitplan für die fünf Wettbewerbsblöcke und das Kölner Fenster findet sich auf der Website www.kffk.de, wo man nach der Registrierung dann auch direkt mit dem Streamen beginnen kann. Denn bereits seit gestern (und noch bis zum 23. November) ist dort der Block „New Aesthetic“ abrufbar, der aus zwei rund halbstündigen Filmen und einem einstündigen Panel mit den beiden Filmemacherinnen besteht.
Unglückliche Frauen
Chloé Galibert-Laîné hat mit „Watching ‚The Pain of Others‘“ genau wie Gabrielle Stemmer mit ihrem Film „Clean With Me (After Dark)“ einen so genannten Desktop-Dokumentarfilm gedreht, der sich mit Hilfe des Screen Capture mit Found-Footage-Material aus dem Internet speist. Die beiden Filmemacherinnen haben sich dabei mit unterschiedlichen Frauen beschäftigt, die sich und ihr Leben in sozialen Medien mit einer breiteren Öffentlichkeit teilen. Galibert-Laîné nahm den Film „The Pain of Others“ von Penny Lane als Grundlage für ihren eigenen Kurzfilm. Lane hatte darin drei Frauen porträtiert, die unter einer Form des Dermatozoenwahns, der Morgellons-Krankheit, leiden, und von ihren Erfahrungen damit in YouTube-Videos berichten. Galibert-Laîné analysiert in „Watching ‚The Pain of Others‘“ nicht nur den Film von Penny Lane, sondern beschäftigt sich darüber hinaus auch mit den drei YouTuberinnen und rückt sich auch selbst während ihrer Recherchen ins Bild. Gänzlich anders ging Gabrielle Stemmer in „Clean With Me (After Dark)“ vor, der vollkommen ohne Kommentierung durch die Filmemacherin auskommt und lediglich YouTube-Clips präsentiert sowie die persönliche Recherche durch Mausbewegungen auf dem Desktop visualisiert. Bei ihr geht es um junge Frauen, die sich selbst beim Saubermachen der eigenen Wohnung filmen und dies mit dem World Wide Web teilen. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, wie zutiefst einsam und sozial isoliert diese YouTuberinnen sind, die mit Hilfe ihrer selbstgedrehten Filme auf Gleichgesinnte treffen und sich austauschen wollen.
Weiblicher Blick auf weibliche Repräsentanz
Im von Mirjam Kappes moderierten Panel mit den beiden Regisseurinnen wird thematisiert, dass beide Werke dem netnographischen (zusammengesetzt aus den Wörtern Internet und Ethnographie) Filmemachen zuzuordnen sind. Stemmer erläuterte, dass es ihr Wunsch gewesen sei, „nicht als Stimme im Film präsent zu sein“ und nur ihre „Kraft als Editorin zu nutzen“. Chloé Galibert-Laîné hingegen fand es nur natürlich, sich selbst zu filmen, da ihr Film „von Frauen handelt, die sich selbst filmen“. Beim Entstehungsprozess war sie ganz auf sich allein gestellt, und da sie ständig zwischen Schreiben, Filmen und Schneiden hin- und herwechselte, sah sie ihren Platz am Ende als Protagonistin im eigenen Film als unvermeidlich an. Kappes erkannte, dass man sich als ZuschauerIn den Filmemacherinnen näher fühlt als bei herkömmlichen Filmen, da die Regisseurinnen selbst im Film auch als Beobachterinnen wahrgenommen werden und somit mit dem Publikum auf einer Ebene stehen. Für Mirjam Kappes bieten die beiden Filme Blicke in Welten, von deren Existenz sie im Vorfeld gar nichts wusste. Stemmer betonte, dass sich die Putzvideos der Hausfrauen gleichwohl einer enormen Popularität erfreuten und einigen Vlogerinnen mittlerweile einen beträchtlichen Reichtum einbringen würden. Die in Galibert-Laînés Film gezeigten Frauen hingegen gehörten einer nur sehr überschaubaren Community an. Gleichwohl zeichnen sämtliche Protagonistinnen ein interessantes Gender-Selbstbild von Frauen im 21. Jahrhundert, deren Leben häufig von Sozialangst bestimmt wird und die in sozialen Medien nach Lob und Anerkennung suchen.
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