choices: Herr Dr. Hebold, Herr Dr. Giel, ist es richtig, bei der Schönheit nachzuhelfen?
Dr. Klaus Hebold: Viele Dinge, die wir tun, sind gesellschaftlich sanktioniert, andere wiederum nicht oder noch nicht. Wenn Sie Ihren Schneidezahn verlieren, wäre es völlig inakzeptabel, wenn Sie diese Lücke lassen würden. Vor hundert Jahren wäre das aber der Normalfall gewesen. Wesentlich weniger gesellschaftlich akzeptiert ist ein medizinischer Eingriff beim Tränensack, obwohl dieser nicht mit mehr Aufwand verbunden ist. Wenn Sie Tränensäcke haben, sehen Sie versoffen und müde aus. Aber auch da gibt es inzwischen einen Wertewandel. Vor 30 Jahren war so ein operativer Eingriff noch völlig tabu. Inzwischen sagen viele, dass man da was dran tun kann, aber niemand würde sagen, dass man da was dran tun muss.
Natürliche Schönheit war gestern?
Hebold: Vieles, was wir tun, entspricht nicht der Natur. Wir korrigieren unsere Sehstärke mit Brillen, unsere Hörfähigkeit mit Hörgeräten. Wir kleiden uns, statt nackt herumzulaufen. Gesellschaftliche Normen ändern sich. In Brasilien haben fast alle Frauen Implantate. Wir sind weit davon entfernt zu glauben, dass man alles machen muss, was man machen kann. Wir müssen maßvoll handeln. Ich habe wenig Haar auf dem Kopf, trotzdem lasse ich mir keine Haare verpflanzen. Wenn ich allerdings Tränensäcke hätte, würde ich mir die von meinem Kollegen operieren lassen. Das oberste Prinzip ist: Man darf es nicht merken. Sobald man sieht, dass etwas gemacht worden ist, ist es eigentlich schon Mist.
Dr. Thomas Giel: Wir behandeln Menschen mit spannungsbedingtem Haarausfall. Zwei Drittel der Patienten sind Frauen. Haarausfall bei einer Frau ist in der Gesellschaft nicht akzeptiert. Wir Männer können mit Glatze rumlaufen. Bei der Frau geht das gar nicht.
Sie können ja nicht immer mit der Kasse abrechnen. Ist Schönheit auch ein Statussymbol?
Giel: Den Wunsch nach Behandlung haben sicherlich viele Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten. Im Vordergrund steht aber immer der Wunsch nach der Veränderung, nicht der Wunsch damit anzugeben, sich das auch leisten zu können.
Hebold: Allerdings ist Ästhetisch-Plastische Chirurgie nicht mehr eine Medizin nur für die oberen Zehntausend. Wir behandeln sowohl Manager wie auch Verkäuferinnen. Unser Angebot ist vergleichbar mit Zahnersatz. Zahnersatz können sich nur wenige gar nicht leisten.
Giel: Die einen zahlen die Behandlung aus der Portokasse, die anderen sparen eben Jahre darauf.
Hebold: In der Wirtschaftskrise hatten wir sogar besonders viel zu tun.
Warum?
Hebold: Ich bleibe beim Beispiel Tränensack. Wenn Sie zu einem Bewerbungsgespräch gehen und sie sehen müde aus, sind Ihre Chancen merklich kleiner, als wenn Sie frisch und wach aussehen. Mit einer Korrektur verbessern Sie Ihren Marktwert.
Ist das nicht furchtbar, dass man ohne Tränensäcke mehr Chancen hat?
Hebold: Es ist nicht unsere Aufgabe, das zu bewerten. Aber es ist nun mal so.
Giel: Wir dürfen eines nicht vergessen: Unsere Gesellschaft wird immer älter. Menschen wollen sich immer länger im Spiegel attraktiv finden.
Wo bleibt der Mut zur Hässlichkeit?
Hebold: (lacht) Den haben wir doch. Schauen Sie sich uns doch mal an. Der Schuster trägt die schlechtesten Schuhe.
Geht es denn nur um Menschen, die jünger aussehen wollen?
Hebold: Nein, wir haben auch sehr viele junge Patienten. Viele haben eine Nase, die ihnen einfach nicht ins Gesicht passt. Wenn eine junge Frau immer wieder hört „die da mit der großen Nase“, ist der Wunsch nach einem harmonischen Gesicht schon sehr leicht nachzuvollziehen. Gerade die Nasenchirurgie kann dramatische Verbesserungen der Harmonie bewirken.
Giel: Oft treten wir aber auf die Bremse und raten von einem Eingriff ab.
Manche sehr junge Frau möchte eine größere Brust?
Hebold: Ein Riesenmythos, dass lauter Teenies mit ihren schönen Brüsten unzufrieden sind und mehr wollen. Allerdings behandeln wir auch sehr junge Frauen, die fast überhaupt keinen Busen haben. Die werden von ihrem Gynäkologen zu uns geschickt und kommen oft in Begleitung der Eltern. Das läuft dann nicht unter Schönheitschirurgie, sondern unter rekonstruktiver Chirurgie. Plastische Chirurgie ist auch im Bereich der Schönheitschirurgie viel mehr Medizin und lindert Leidensdruck, als Lifestyle zu sein.
Giel: Hier herrschen keine amerikanischen Verhältnisse, wo Teenager schon überflüssige schönheitschirurgische Behandlungen von den Eltern zum Geburtstag geschenkt bekommen.
Kommt das noch? Coca-Cola gibt es auch erst seit knapp 60 Jahren in Deutschland.
Hebold: Dort, wo ein Markt entsteht, wird es auch einen Deppen geben, der diesen bedient. Wir werden das nicht sein.
Giel: Ich glaube noch nicht einmal, dass es in unserem Land so weit kommen wird.
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