choices: Frau Weber-Wulff, was ist ärgerlich am Plagiat? Geht es um die Eitelkeit des Orginalautors?
Debora Weber-Wulff: Im wissenschaftlichen Diskurs geht es schlicht um die Wahrheit. Ein Plagiator hat für seine Dissertation sogar aus der „SUPERillu“ abgeschrieben. Auch die „SUPERillu“ hatte vergessen, die Belegstelle, in diesem Fall, das Statistische Bundesamt, anzugeben. Der Bürgermeister von Forst in Brandenburg hat aber beim Abtippen einen kleinen Fehler gemacht, und eine der Zahlen ist nicht korrekt wiedergegeben. Genau aus diesem Grund gibt es doch Belegstellen. Wenn ich als Leser etwas nicht nachvollziehen kann, bleibt mir die Möglichkeit, bei der Ursprungsquelle nachzulesen.
Hat sich seit Guttenberg die Welt verändert?
Meine Welt hat sich verändert. Täglich rufen mehrere Journalisten bei mir an. Früher interessierte das Thema nur die Professorinnen und Professoren. Jetzt wird auch am Stammtisch und im Friseursalon darüber geredet. In der „Brigitte“ ist ein Interview mit mir dazu erschienen. Wir haben nun die Chance, den Wissenschaftsbegriff der Bevölkerung näherzubringen.
Kann man den zunehmenden Diebstahl geistigen Eigentums in Zeiten des Internets überhaupt aufhalten?
Natürlich, nicht alles, was technisch möglich ist, sollte auch getan werden. Es kommt doch nicht auf die Anzahl der Fußnoten an, sondern auf deren Qualität. Wissenschaftler sollten auf der Basis von Quellen komponieren und so etwas Eigenes und Neues schaffen.
Komponieren ist ein schönes Stichwort. Über das, was seit einem Jahr im Wissenschaftsbetrieb geschehen ist, kann die Musik- und die Filmindustrie nur schmunzeln.
Wir haben in der Wissenschaft glücklicherweise noch eine Schriftkultur und somit die Möglichkeit, Quellen zu nennen. In der Musik ist das schwieriger. Statt immer neue Kopierschutztechniken zu verwenden, sollte die Musikbranche ihre Energie darauf verwenden, bei Remixes alle Beteiligten wirklich zu nennen.
Wie sieht die Zukunft aus? Sind Sie mit Ihrer Wissenschaft am Ende?
Nein, so ein Tanker verschwindet nicht einfach. Aber auch die Politiker müssen jetzt verstehen, dass nicht noch mehr Stellen bei den Hochschulen gestrichen werden können. Irgendwann kann man seine Studierenden nicht mehr betreuen. Und dann sagen sich die Studenten: „Wenn meine Arbeit sowieso niemand liest, brauche ich sie auch nicht selbst zu schreiben“.
Muss auch die gesellschaftliche Bedeutung des akademischen Titels hinterfragt werden?
Tatsächlich wollen manche ihren Doktortitel nur für das Messingtürschild und die Visitenkarte. Der Doktor ist aber in Wirklichkeit ein wissenschaftlicher Grad, kein Titel. Deshalb plädiere ich dafür, dass er nicht mehr im Personalausweis, ergo nicht mehr auf dem Türschild und der Visitenkarte erscheint. In Berlin war gerade Wahlkampf. An jedem dritten Baum hängt ein Plakat mit Doktortitel. Ich schreibe die ganzen Kandidaten an und frage sie, warum sie diesen ihren Doktortitel verwenden. Ich habe ein paar sinnvolle und ein paar freche Antworten bekommen. Manche haben gar nicht reagiert.
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