Theater ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Daran glauben die Theatermacher seit Jahrhunderten. Seit der Gedanke der Schaubühne als moralischer Anstalt in der Welt ist, ist die Selbstbehauptung als kritische Instanz der Gesellschaft immer in Griffweite. Zur Schizophrenie gehört allerdings, dass das Ästhetische zugleich als unantastbares Naturreservat behauptet wird. Einfluss nehmen verboten.
Mit dem Neoliberalismus und der Präsenz der sozialen Medien hat sich die Rolle des Theaters grundlegend verändert. Angesichts des fortschreitenden Bedeutungsverlusts inszeniert es sich zunehmend als Institution im öffentlichen Raum, in dem gesellschaftliche Gruppen ein Forum finden, in dem Stadtgesellschaft als partizipativer Prozess aktiv und reflexiv zu erfahren ist.
In Köln hatte im Sommer Nuran Calis Stück „Die Lücke" Premiere, eine Reflektion um rechtsradikalen Terror und die Realität der Einwanderergesellschaft. Anlass war der zehnte Jahrestag des sogenannten Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße. Calis konfrontierte Bewohner der Straße mit deutschen Schauspielern, inspizierte die Mehrheitsgesellschaft mit ethnologischem Blick und untersuchte zugleich die Folgen der Ermittlungspannen. Die Produktion fokussiert damit das Gedenken der Stadt, die selbst mit mehreren Veranstaltungen an den Anschlag erinnerte, stellte es aber zugleich auch infrage.
Stark zukunftsorientiert und zugleich als sozial aktivierender Treibriemen inszenierte sich dagegen in Bochum das Schauspielhaus mit dem Stadtprojekt „This is not Detroit". Ein Jahr lang wurde mithilfe von Symposien, Theaterstücken, Filmen und Ausstellungen über die Stadt nach der Schließung des Opel-Werks nachgedacht. Wobei eine erstaunliche Differenz zutage trat. Kunstaktionen wie „Die Kinder von Opel" des kainkollektivs, der Kurzfilm „Ein Werk verschwindet" des Duos Hofmann & Lindholm oder die Installation „Shoot Out" von Chris Kondek und Christiane Kühl setzten sich kritisch und retrospektiv mit Opel, aber auch dem Stadtprojekt selbst auseinander. Die Kuratoren hingegen hatten schon zu Beginn des Projekts betont, den Blick eher auf den Wandel als auf die Krise richten zu wollen. Und so spielten partizipative Aktionen wie ein „Zukunftsfest" oder die Ausstellung „Mein Bochum – unsere Zukunft" im gesamten Stadtraum eine große Rolle. Ein bisschen Abwehrzauber war dabei unübersehbar: Mit der insolventen Motortown Detroit mochte man sich nicht vergleichen.
Das Problem vieler Projekte ist ihre Nachhaltigkeit und ihr dürftiger Synergieeffekt fürs Theater selbst. Nichtsdestotrotz: Der Partizipation entgeht heute kaum eine kulturelle Institution. Der zukünftige Düsseldorfer Intendant Wilfried Schulz hat am Staatsschauspiel Dresden eine Bürgerbühne eingerichtet. Die Bürger recherchieren, erarbeiten Projekte und stehen als Akteure auf der Bühne. Nicht nur einmal. Fünf Produktionen sind allein in der laufenden Spielzeit angekündigt, von „Merlin" über „Katzelmacher" bis zu einem Projekt über die Elbe. Man wird abwarten müssen, ob dieses Modell auch für Düsseldorf tragfähig ist.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Offen und ambitioniert
Andreas Karlaganis wird neuer Generalintendant in Düsseldorf – Theater in NRW 12/24
Neues Publikum
Land NRW verstetigt das Förderprogramm Neue Wege – Theater in NRW 11/23
Zeichenhafte Reduktion
NRW-Kunstpreis an Bühnenbildner Johannes Schütz verliehen – Theater in NRW 12/22
Die Macht, ihr Preis und die Tradition
Düsseldorfer Schauspielhaus feiert 50-jähriges Bestehen – Theater in NRW 01/20
Rechts stummschalten
Christian Fuchs diskutiert im NS-Dok über die Neue Rechte – Spezial 10/19
Schlachtfeld der Phantasie
„Hamlet“ am Düsseldorfer Schauspielhaus – Theater 03/19
Zu etwas Neuem
„New Joy“ am Schauspielhaus Bochum – Tanz an der Ruhr 02/19
Alle sind gleich, manche sind gleicher
Wunsch und Realität bei Stadttheater und Freier Szene – Theater in NRW 06/18
Nüchterne Eier
Marie Rotkopf mit „Antiromantisches Manifest“ im King Georg – Literatur 03/18
Übergriffige Brüllaffen
Die MeToo-Debatte erreicht die Bühnen – Theater in NRW 03/18
Breit und hoch zugleich
Olaf Kröck wird neuer Leiter der Ruhrfestspiele – Theater in NRW 12/17
Mäzene bitte melden!
Düsseldorf saniert sein Schauspielhaus mit Spenden – Theater in NRW 11/17
Schutz vor Verdienstausfällen
NRW plant Absicherung für freie Künstler – Theater in NRW 01/25
Endspurt für Mammut-Projekt
Beethovenhalle kurz vor der Fertigstellung – Theater in NRW 11/24
Jünger und weiblicher
Neue Leitungsstruktur am Mülheimer Theater an der Ruhr – Theater in NRW 10/24
Überleben, um zu sterben
Bund will bei der Freien Szene kürzen – Theater in NRW 09/24
Bessere Bezahlung für freie Kunst
NRW führt Honoraruntergrenzen ein – Theater in NRW 08/24
Mit allen Wassern gewaschen
Franziska Werner wird neue Leiterin des Festivals Impulse – Theater in NRW 07/24
„Zero Waste“ am Theater
Das Theater Oberhausen nimmt teil am Projekt Greenstage – Theater in NRW 06/24
Demokratie schützen
Das Bündnis Die Vielen ruft zu neuen Aktionen auf – Theater in NRW 05/24
Theatrales Kleinod
Neues Intendanten-Duo am Schlosstheater Moers ab 2025 – Theater in NRW 04/24
Neue Arbeitszeitregelungen
Theater und Gewerkschaften verhandeln Tarifvertrag – Theater in NRW 03/24
„Der Tod ist immer theatral“
Theatermacher Rolf Dennemann ist gestorben – Theater in NRW 02/24
Standbein und Spielbein
Pinar Karabulut und Rafael Sanchez gehen nach Zürich – Theater in NRW 01/24