Da sitzt sie – Marie Rotkopf. Im King Georg. Der charmante französische Akzent, in welchem die in Paris geborene Autorin und Künstlerin, die seit zehn Jahren in Deutschland lebt, ihr „Antiromantisches Manifest: Eine poetische Lösung“ auf Deutsch vorliest, dabei teilweise ein wenig – gewollt oder ungewollt – mit dem Deutschen hadernd, lässt die 42-Jährige nett und unschuldig erscheinen, die Aussagen und Passagen weicher klingen, als sie sind. Denn sie sind vor allem eines: knallhartes revolutionäres Bollwerk. Ihre Kollage aus Erzählsträngen, gesammelten Gesprächen und kontrastiv dazu kritischen nüchternen Essays, die teils mit Diabildern untermalt werden, sind Poesie als Revolte. „Nur im Fremdsein ist man frei“, behauptet Rotkopf, die das „Wir“-Gefühl verabscheut und die neben jüdisch-arabischen Wurzeln deutsch-französische in sich trägt. Von allem ein bisschen. In ihrem 2017 erschienenen Buch geht es um deutsch-jüdische Beziehungen, um Identitätsfragen, um Juden im heutigen Deutschland, um den Konflikt zwischen Israel und Palästina, um eine Entnazifizierung, die aus der Sicht der in Hamburg lebenden Kulturkritikerin nicht oder nicht zu Genüge stattgefunden hat. Um die Schuldfrage an der „Endlösung“ der Juden, der sie mit einer poetischen Lösung begegnet.
Und vor allem um eines: um die Romantik als Wurzel allen Übels, beschwöre sie doch ein übersteigertes Heimatgefühl herauf und führe sie zu Nationalstolz, Protofaschismus und Antisemitismus, worauf schon Heinrich Heine richtigerweise hingewiesen habe. Überhaupt scheint Romantik der größte Feind der Schriftstellerin sein. Insbesondere die deutsche. Schließlich habe sie ein fürchterliches, sehr düsteres Frauenbild geschaffen. Ferner führe Romantik zu Leid in der Liebe, da das Versprechen von ewiger Verbundenheit, die Konzentration auf eine Person und die damit verbundenen Normen zu Anpassung führten in Form von stereotyper Familiengründung und einer Klischee besetzten Rolle der Frau.
Doch warum ist Romantik überhaupt so schlecht? „Weil sie uns hindert, über die Ursachen nachzudenken, weil sie banal und zynisch ist“, so die studierte Kultursoziologin, die die USA mit ihrem kitschigen Kapitalismus und Neoliberalismus zusammen mit Deutschland ironisch als das dritte Auge Gottes bezeichnet. „Solange Deutschland und Amerika weiterhin Waffen ausliefern, gibt es keinen echten Frieden.“ All das sagt Rotkopf nüchtern, ohne jemals laut zu werden, aber auch ohne zu lächeln. Ohne ein einziges Mal die Miene zu verziehen. Das Publikum lauscht andächtig und wird im Laufe der Zeit immer stiller.
Eins steht fest: Ein Werk voller Nettigkeiten ist ihr Manifest eher nicht. Das wäre wohl zu romantisch. Leise überschreitet Rotkopf permanent Grenzen, sagt Dinge, die andere sich nicht im Traum auszusprechen trauen würden, und zaubert langsam aber sicher immer mehr Fragezeichen und Falten auf die männlichen Stirnen der anwesenden Gäste, während sie zunehmend Zustimmung seitens der weiblichen erhält. Im Zusammenhang mit Hugo Boss, der u.a. Mode für Nazis entwarf und die NSDAP unterstützte, nach dem Krieg zunächst deshalb belastet wurde, dann aber später nur als „Mitläufer“ entlastet wurde, schreibt sie von einem negativ behafteteten, weil stets dominanten männlichem Sexualverkehr. Sowohl bei hetero- als auch bei homosexuellen Männern. Sie trägt eine härtere Stelle aus ihrem Buch vor, in welcher der männliche Protagonist, Touko Valio Laaksonen („Tom of Finland“), Geschlechtsverkehr mit einem Nazi-Offizier hat, den er heimlich sexuell attraktiv findet, wobei er entjungfert wird und blutet. „Wie Hitler mit einem Ei. Narziss im Spiegelei.“ Ich weiß inzwischen nicht mehr genau, ob ich ob ihrer Aussagen lachen, weinen, schlucken oder husten soll. Oder vielleicht alles zusammen. Irgendwie ist alles, was sie sagt, grauenvoll und doch gleichzeitig leider wahr, wenn es doch viele Gegenfragen aufwirft.
Und so stellt das Publikum, nicht ganz unberührt von solchen provokativen (ein)eiigen Aussagen, am Ende zu Recht Fragen.Z.B.:„Ist also die deutsche Romantik Schuld an der Shoah?“ Antwort: „Ja. Gewissermaßen.“ – „War nicht aber die Romantik damals eine Reaktion auf die Industrialisierung? Ist es nicht verständlich, dass Menschen sich in Zeiten der Technologisierung und der dadurch entstanden Austauschbarkeit ein wenig nach Heimat sehnen? Was ist so schlimm daran?“Ihre Antwort:„Dennoch ist Fremdsein die einzige Lebensform, um frei zu sein.“Sowie: „Was unterscheidet denn die deutsche Romantik von anderen? Ist es nicht ebenfalls rassistisch zu behaupten, nur die deutschen Romantiker seien Schuld an allem?“ Eine – wie ich finde – berechtigte Frage, die sie aber nicht wirklich beantworten kann oder mag. Sowie: „Wie sieht denn Liebe ohne Romantik aus? Wie geht das?“ Ihre Antwort lautet: „Das anti-romantische Manifest ist ein Buch der Liebe. Das Gegenteil von Angst.“
Antiromantisches Manifest – Eine poetische Lösung | Edition Nautilus | 144 S. |
14,99 €
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