Freitag, 26. Oktober: Volljährig geworden ist in diesem Jahr das Festival für Filmschnitt und Montagekunst film+, das sich weltweit zu einem führenden Branchentreff für die Editorenszene gemausert hat. In ihrer Ansprache zur Eröffnung des viertägigen Festivals betonte Ruth Schiffer vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, dass „das kleine, feine Festival schon immer etwas Besonderes war“. Insbesondere das Netzwerken funktioniere hier ausgezeichnet, Ehreneditoren seien regelmäßig von jungen Nachwuchseditoren umzingelt, aber auch der gewerkeübergreifende Dialog sei bei film+ schon immer wichtig gewesen, so Schiffer weiter. Deswegen hatte man sich dazu entschlossen, auf der Auftaktveranstaltung im Filmforum ein vom Land NRW neu gestiftetes Stipendium erstmals zu vergeben. Gedacht sind die auf ein halbes Jahr verteilten 9900 Euro als Unterstützung für die Entstehungs-, Früh- und Konzeptionsphase eines Filmprojektes, die dem Stipendiaten den nötigen künstlerischen Freiraum für die Recherchen gewähren soll. Zusammen mit Schiffer saß auch Sabine Rollberg von der KHM in der Jury für das erste Stipendium, das bei der film+-Eröffnung Filippa Bauer für „Traumhäuser“ zugesprochen wurde. Die Geehrte nutzte ihre Dankesworte auf der Bühne, um anwesende EditorInnen für ihr Projekt zu begeistern.
Traditionell stand aber auch 2018 der Eröffnungsabend des Festivals ganz im Zeichen des aktuellen Ehrenpreisträgers Schnitt, Norbert Herzner. Der Kurator der Hommage, Werner Busch, merkte in seiner Einleitung an, dass es sich hierbei um die erste Auszeichnung Herzners überhaupt handele. Das sei nicht nur „überaus erstaunlich, sondern ein großer Fehler im Buch der Filmgeschichte“. Mehr als 50 Kino- und Fernsehfilme sowie Dokumentationen habe Herzner im Laufe seiner Karriere geschnitten, darunter mit „Knight Moves – Ein mörderisches Spiel“ 1992 weltweit sogar den allerersten Spielfilm, der mit Avid digital montiert wurde. Als Eröffnungsfilm hatten die Veranstalter Percy Adlons „Out of Rosenheim“ aus dem Jahr 1987 ausgewählt, der 2018 aufwändig in 4K restauriert und in dieser Fassung dann in Cannes wiederaufgeführt worden war. Adlon und seine Ehefrau Eleonore, gemeinsam am Film auch als Drehbuchautoren und Produzenten beteiligt, hatten es sich nicht nehmen lassen, für die Auszeichnung Herzners die weite Reise aus Los Angeles anzutreten, mangels einer entsprechenden Sponsorenfinanzierung sogar auf eigene Kosten. Auf humorvoll-launige Art erzählte Adlon bei seiner Laudatio, wie er bereits am zweiten Tag der Schnittarbeit an „Out of Rosenheim“ von Herzner aus dem Schneideraum hinausgeschmissen worden war. Für Adlon war das damals ein merkwürdiges Gefühl, zumal er Herzner damals noch gar nicht kannte. „Ich verstand mich damals als Autorenfilmer, der allein für seinen Film verantwortlich war. Alle anderen halfen mir nur dabei“, so der Regisseur. Durch Herzner habe er über seine Arbeit reflektiert und erkannt, dass Drehbuchschreiben und Filmen nur Vorbereitung für das eigentliche Erzählen des Films seien, das ausschließlich in der Montage stattfände.
Norbert Herzner zeigte sich glücklich, dass er „Out of Rosenheim“ damals schneiden durfte. „Der Erfolg hat uns später recht gegeben, aber ohne die Vorarbeit und das vorhandene Material hätte ich nicht machen können, was ich schließlich gemacht habe“, führte der Editor weiter aus. Für ihn sei der Film einfach rund, er habe Momente einfach so für sich stehen lassen können. Auch Percy Adlon betonte weiter, dass der Film zum richtigen Zeitpunkt in ihrem Leben entstanden sei. Die Tatsache, Marianne Sägebrecht getroffen und für den Film „Zuckerbaby“ für sich entdeckt zu haben, Jack Palances Entscheidung, für diesen Film auf eine wesentlich lukrativere Rolle in einer Fernsehserie zu verzichten und Herzners kreatives Engagement für den Film – das alles habe hier rundherum gepasst, so Percy Adlon weiter. Dass Norbert Herzner den weltweit ersten Spielfilm digital geschnitten hat, sei einer der vielen glücklichen Zufälle in seiner Karriere gewesen. „Das Gros der Filme, die ich geschnitten habe, hat mir Spaß gemacht. Drehbücher habe ich dabei normalerweise gar nicht gelesen. In der Regel wusste ich schon anhand des Materials, was ich damit machen konnte“, rekapitulierte der Ehreneditor am Abend. Am Sonntag und Montag wird er jeweils noch ein weiteres Mal für Gespräche bei film+ zur Verfügung stehen, u.a. auch für eine Präsentation des Carl-Schenkel-Klassikers „Abwärts“, der im OFF Broadway noch einmal auf der großen Leinwand zu sehen sein wird.
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