Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
25 26 27 28 29 30 1
2 3 4 5 6 7 8

12.581 Beiträge zu
3.810 Filmen im Forum

Der ukrainische Autor Juri Andruchowytsch im Gespräch Kurator Aleš Šteger
Foto: Mario Müller

Gattungen der Melancholie

26. Januar 2016

Mehrsprachige Eröffnung der Poetica 2 am 25.1. in der Aula der Uni – Literatur 01/16

Der isländische Autor und Dichter Sjón ist weit über sein Heimatland hinaus bekannt, zum Beispiel für seine Songtexte für die Sängerin Björk. Jetzt tritt der hochgewachsene Mann in der Aula der Universität zu Köln ans Mikrofon, um eines seiner Gedichte vorzutragen. Der Klang der fremden Sprache wirkt sofort wie ein Sog. Erst die deutsche Übersetzung, vorgelesen von einem Schauspieler, macht dem deutschsprachigen Zuschauer das Gedicht zugänglich.

Darin trifft die französische Forscherin Marie Curie in Paris auf den Maler Edvard Munch, der sie zwischen ihren Apparaten malt. Ein Spiel mit der Realität, denn ein solches Bild ist wohl nie entstanden. Inspiriert sei das Gedicht durch einen Traum, so der Autor im anschließenden Gespräch. Darin geht es auch um die für den Norden so typische Melancholie.

Sie passt zum diesjährigen Thema der Poetica 2: „Blue Notes“, die Farbe Blau. Ergründet werden soll die Schwermut in der Poesie, ihre Wirkung, ihr Ursprung und ihre Funktion. Natürlich geht es auch um Trauer, um den Abschied von Menschen, um den Tod. Im Angesicht des Todes, so Sjón, sei das Mindeste, was man tun könne, ein Gedicht zu schreiben.

Vor Sjón stand hier Bernardo Atxaga, Spanier baskischen Ursprungs und auf den ersten Blick das Gegenteil von Sjón. Doch auch er ist Autor, neben Gedichten schreibt er Romane, Texte für Bands und Kinderbücher. Und auch er beschäftigt sich mit dem Tod: In seinem Gedicht geht er jeden Tag des kommenden Monats durch und fragt immer wieder: „Wann werde ich sterben?“ – gefolgt von einer melodischen Wortfolge, die an ein Kinderlied erinnert. Auch sein Vortrag fasziniert durch den reinen Klang der baskischen Sprache, die nur selten durch spanische Satzteile ergänzt wird.

Kuratiert wird diese zweite Ausgabe des Poetica-Festivals von Aleš Šteger. Der slowenische Lyriker und Verleger war im vergangenen Jahr Teilnehmer der ersten Poetica. Das „Festival für Weltliteratur“ wird veranstaltet vom Internationalen Kolleg Morphomata der Universität zu Köln und von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die unter anderem den Georg-Büchner-Preis verleiht.

Šteger stellt an diesem Abend die Teilnehmer vor und führt auch die kurzen Gespräche mit den Gästen. Die Themenfelder des Festivals können am Eröffnungsabend nur kurz angedeutet werden. Schließlich gilt es, neun Autoren vorzustellen. Dennoch sind Ansätze zu erkennen. Es geht wieder politisch zu, gibt doch die Welt da draußen einigen Anlass zur Melancholie – und diese Welt bringen die Autoren schließlich mit.

Das Gedicht des ukrainischen Autors Juri Andruchowytsch heißt auf Deutsch „Hochsitze“. Aleš Šteger liest es sofort politisch, allerdings mit Bezug auf aktuelle Ereignisse in der Ukraine – das Gedicht wurde aber schon 2003 geschrieben. Über diese Offenheit der Gedichte für verschiedene Lesarten wird im Rahmen des Festivals sicher noch zu sprechen sein. Mit Ana Ristović ist eine weitere Lyrikerin aus Osteuropa zu Gast. Aus Serbien stammend, teilt sie mit Šteger die Vergangenheit im ehemaligen Jugoslawien. 

Der traurigste Ort der Welt

Aus Bulgarien stammt der Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Georgi Gospodinov. Seine Heimat wurde vom „Economist“ mal als „traurigster Ort der Welt“ beschrieben, weshalb er seine Landsleute auch „world champions in sorrow“ nennt. Er performt ein Spiel mit der Sprache, vergleicht in seinem Gedicht den Text mit einem Fisch. In Entsprechung zum Vorgang des Entgrätens trennt er die Konsonanten von den Vokalen und hat dabei die Lacher auf seiner Seite. Der Titel seines Bandes „Physik der Schwermut“ passt scheinbar perfekt zum Programm der Poetica, lässt sich das Blau des Themas doch auch naturwissenschaftlich betrachten.

Das tut nicht nur der Rektor der Universität zu Köln, Prof. Dr. Axel Freimuth in seiner Eröffnungsrede, sondern auch die britische Künstlerin und Lyrikerin Lavinia Greenlaw. Ihr Gedicht „Blue Field“ könnte als eine Art Blaupause für das diesjährige Festival-Thema stehen. Es geht der Materialität der Farbe Blau auf den Grund. Diesen naturwissenschaftlichen Zugang führt sie auf die Doktoren und Forscher in ihrer Familie zurück.

Ilma Rakusa aus der Schweiz las als eine der wenigen auf Deutsch, Foto: Mario Müller

Die deutschsprachigen Beiträge, etwa von der Schweizerin Ilma Rakusa oder dem in Rom lebenden deutschen Lyriker Durs Grünbein, bleiben an diesem Abend noch am wenigsten im Gedächtnis. Dies kann daran liegen, dass ihnen die Wirkung der fremd klingenden Sprache fehlt – oder einfach daran, dass man sie nur einmal hört.

Auffallend ist dagegen die beliebte Zusammenarbeit der Dichter mit Musikern. Dass der Begriff „Blue Note“ selbst aus dem Musikbereich stammt, erscheint da nur konsequent. Beide Bereiche zusammenführen wird Šteger in einer Veranstaltung im King Georg (27.1., 22 Uhr), in der seine Stimme mit der eines Blues-Musikers zu hören sein wird.

Einen musikalischen Hintergrund hat auch der englischsprachige Lyriker Paul Muldoon. In unterschiedlichen Bandkonstellationen ist er auch als Musiker und Songschreiber tätig. Sein Vortrag ist vor allem im Englischen eindrucksvoll. Der in Nordirland geborene Autor und Dozent lebt in den USA. Er wird hier als Amerikaner ausgewiesen, sonst wäre die Poetica bei genauem Hinsehen in diesem Jahr doch ein Festival für europäische Literatur geworden. Das liegt allerdings an der kurzfristigen Absage eines Gastes, wie Šteger bemerkt. Dieser kleine Schönheitsfehler ändert nichts daran, dass in Köln eine vielfältige und bunte Auswahl an Lyrikern zu sehen sein wird. Man kann sich nur wünschen, dass dies zu einer größeren Bekanntheit einiger Autoren und der Gattung an sich führen wird.

Wer alle Autoren der diesjährigen Poetica auf einmal sehen will, kann dies am Freitag im Wallraf-Richardz-Museum (29.1., 19 Uhr) und am Samstag (30.1., 20 Uhr) im Schauspiel Köln tun. An beiden Terminen werden zudem Autoren der Akademie für Deutsche Sprache und Dichtung auf der Bühne stehen, unter anderem Navid Kermani, Heinrich Detering und der letztjährige Kurator der Poetica, Michael Krüger. Eine intensivere Auseinandersetzung mit den einzelnen Autoren bieten sicher die Veranstaltungsreihen „Literatur im Dialog“ und „Blaue Stunde“ von Dienstag bis Donnerstag an unterschiedlichen Veranstaltungsorten.

Poetica 2. Festival für Weltliteratur | 25.-30.1. | verschiedene Orte | www.poetica.uni-koeln.de/poetica-2

Mario Müller

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Vaiana 2

Lesen Sie dazu auch:

Übergänge leicht gemacht
„Tschüss und Kuss“ von Barbara Weber-Eisenmann – Vorlesung 11/24

Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24

Zurück zum Ursprung
„Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen“ von Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger – Vorlesung 10/24

Eine Puppe auf Weltreise
„Post von Püppi – Eine Begegnung mit Franz Kafka“ von Bernadette Watts – Vorlesung 10/24

„Keine Angst vor einem Förderantrag!“
Gründungsmitglied André Patten über das zehnjährige Bestehen des Kölner Literaturvereins Land in Sicht – Interview 10/24

Risse in der Lüneburger Heide
„Von Norden rollt ein Donner“ von Markus Thielemann – Literatur 10/24

Frauen gegen Frauen
Maria Pourchets Roman „Alle außer dir“ – Textwelten 10/24

Wie geht Geld?
„Alles Money, oder was? – Von Aktien, Bitcoins und Zinsen“ von Christine Bortenlänger und Franz-Josef Leven – Vorlesung 09/24

Zerstörung eines Paradieses
„Wie ein wilder Gott“ von Gianfranco Calligarich – Literatur 09/24

Lektüre für alle Tage
Lydia Davis‘ Geschichtensammlung „Unsere Fremden“ – Textwelten 09/24

Reise durchs Eismeer
„Auf der Suche nach der geheimnisvollen Riesenqualle“ von Chloe Savage – Vorlesung 09/24

Schluss mit normativen Körperbildern
„Groß“ von Vashti Harrison – Vorlesung 08/24

Literatur.

Hier erscheint die Aufforderung!