Wenn Saša Stanišić zur Lesung geladen ist, ist eine Einführung in Biografie und Werk kaum mehr nötig. Stanišić ist Erfolgsautor, Liebling von Feuilleton wie Publikum, von Twitter und Literaturbetrieb, wird mit Preisen geradezu überhäuft. Seine Texte spielen sich ab auf dem schmalen Grat zwischen einem den verhandelten Themen angemessenem Ernst und dem Comic relief davon, zwischen schnellen Pointen und Literatur als Kunst.
All das zeigt sich schon in den ersten Minuten des Gesprächs mit den Gastgebern des Literarischen Salons, Guy Helminger und Navid Kermani. Zur Einführung genügt hier ein kurzer biografischer Abriss und eine Referenz auf die Preisverleihungen der letzten Jahre, die Stanišić kommentiert mit dem Hinweis: „Ich habe schon wieder einen Preis gewonnen!“, auch wenn er noch nicht sagen dürfe, welchen. Die rhetorische Frage nach dem Warum beantwortet er sich mit dem Sprichwort vom Teufel und dem größten Haufen. Der Ton für den folgenden Abend ist gesetzt. Das Publikum im ausverkauften Saal, das sich mitunter in Ergebenheit als „Fan“ bezeichnet und den Autor allenfalls untertrieben als „ganz großartig“ umschrieben sehen will, nimmt die Leichtigkeit gern an, und man meint zu erkennen, woraus zumindest auf dieser Seite literarischer Rezeption das Wohlwollen erwächst.
Literatur der Migration und Herkunft
Zuletzt wurde Stanišić für seinen aktuellen Roman „Herkunft“ der Deutsche Buchpreis verliehen. Die Zusammenfassung dieser Erzählungen entlang zahlloser Impulse aus Biografien und Erinnerungen, glückt Helminger in der Sentenz, dass hier ein „Amalgam“ vorliege, „das um den Begriff der Herkunft kreist“ und sich gegen das Alltagsverständnis dieses Begriffes durchaus dissonant und unbotmäßig verhalte. Stanišić gibt Auskunft über seine Schreibinteressen im Feld der Unklarheit der Merkmale einer ‚Herkunft‘, deren tiefe Bindung an persönliche Erfahrung, die unzähligen Zufälle und die mit ihnen verbundenen, ebenso zufälligen Prägungen und Ausprägungen in Persönlichkeiten. Dabei gilt es ihm, die heute durchaus standardisierten Fragen um das Woher und Wie zwar zu beantworten, doch genauso zu untersuchen, wie sich die Erfahrungen der Menschen auf ihr gegenwärtiges Leben ausgewirkt haben – was aus oftmals verhinderten Ankünften, aus Ausgrenzung, fremdbestimmender Zuschreibung eines Migrantenstatus und permanenter institutioneller Bedrohung übrig geblieben ist.
Ein grundlegendes „Widerstehen gegen die Fetischisierung von Herkunft“ in positiver wie negativer Hinsicht zugunsten einer „produktiven Beschreibung des Eigenen“ mit all seinen Akzidenzien und den Austausch darüber als Austausch von zufälligen Inhalten grundiert das Erzählen über das Herkunftsproblem bei Stanišić. Man sei beispielsweise nun einmal Kind seiner Eltern – und hier, Erlösung im langen ernsten Diskurs über die Konstruiertheit eines naturalisierten Herkunftsbegriffs – fügt er lachend ein: „Hoffentlich.“ Schnell zurück beim Thema führt Stanišić seine Poetologie weiter aus, spricht von den „Grenzen des Anstands“ gegenüber dem Anderen als Menschen mit den persönlichen Prägungen und Geschichten. Eine „Lenkung von Strömungen und Debatten“ verneint er – was, erheiternde Koinzidenz, nicht nur sein Schreiben an Zufällen interessiert und von ihnen bestimmt machen würde, sondern ebenso dessen Übereinstimmung mit dem enormen öffentlichen Interesse an derlei Themen.
Vorlesen bringt Klang
Teil der Faszination an Stanišić ist zweifellos ebenso seine Art der Lesung, die zahlreichen Anekdoten um den eigentlichen Text, die wiederum einen Raum von Ernst und Komik ein- und aufschließen. Seinen Vortragsstil wird Kermani später als „performativen Akt“ beschreiben, denn er vollzieht den Inhalt bis in die körperliche Inszenierung nach, ist wieder der Jugendliche in Heidelberg, der Sprache und Umwelt entdeckt. Immer weiter geht seine Lesung in Rezitation über, immer wieder verlässt er das gedruckte Wort und, damit ist es überaus treffend umschrieben: performt es ohne den sakralen Ernst des Erfolgsschriftstellers, in freier Auslegung, wird so zum überzeugenden Schauspieler des eigenen Texts. In den Einschüben fallen bezeichnende Sätze zum eigenen Schreiben, in dem es „der schönste Teil“ der Arbeit sei, „zu klingen“, „den richtigen Ton für die Geschichten, die du erzählen willst“ zu finden. Es mache ihm schlicht „eine Riesenfreude, fürs Vorlesen zu schreiben“.
Diese Riesenfreude exerziert Stanišić aus, im Vortrag wie im Text selbst, ohne dabei den impliziten Bezug zur Schwere des Themas zu verlieren: Wird der Erzähler im Text nach seiner Herkunft befragt missverstanden und statt für einen Bosnier für einen Bostoner gehalten, heißt es etwa: „Ein Missverständnis hatte mich von allen Herkunftslasten befreit.“ Worte wie „Ziehen“ („Und du drückst.“), „mehlig“, „Hecken“, „Schmieröl“ und „Händchenhalten“ ebnen ihm den Weg zur „neuen, zweiten Muttersprache“, ein, so scheint es im anhaltenden Gelächter mitunter, trotz aller impliziten Verweise auf die Probleme dieses Ankommens recht unterhaltsamer, pointenreicher Weg.
Lachen über das Ernste
Befragt will das Publikum freilich noch einen weiteren Ausschnitt hören und man könnte bedenken, ob nicht im Zwiespalt von humorvoll verhandelter Ernsthaftigkeit das erleichternde Lachen über das Ernste so weit in den Vordergrund drängt, dass man vergisst, wovon erleichtert man hier eigentlich lacht. Kermani weist auf dieses Problem hin. „Herkunft“ ist nicht arm an geradezu Tragischem. Stanišić erzählt schließlich „auch das Scheitern des Systems“, verweist auf ähnliche Probleme in der Situation der Geflüchteten zur Zeit der Jugoslawienkriege und heute, auf trotz Erfahrungen in Trägheit des Systems Ungelöstes, das sich gegenwärtig neuerlich belastend auf die Menschen in Vernachlässigung auswirke. Es „fällt mir leichter, darüber zu reden, weil ich es erzählt habe“ – ein weiterer der vielen aufschlussreichen Sätze zum Schriftsteller Stanišić.
Die öffentliche Person Stanišić äußert sich zu vielem, ist auf Twitter enorm umtriebig und kommentarfreudig. Doch auch diese Aktivität hat für den Autor eine Bedeutsamkeit, die tiefer geht als die freilich vorhandene oberflächliche Unterhaltung. Twitter diene ihm ebenso als Werkstatttool, das es ermögliche, auf Textproben ein direktes Feedback zu ihrer Funktionalität in der Außenwelt zu bekommen – eine weitere Möglichkeit, die Liebe der ‚Fans‘ zum Autor zu erklären. Demgegenüber sei das Feuilleton eine weit „eingleisigere Unterhaltung“, welche „die dringliche Sofortigkeit“ der Onlineplattform nicht bieten kann – die er zugleich kritisch einordnet, grassiert doch auf Twitter eine gewisse „Schrei- und Aufmerksamkeitskultur“. Doch auch hier verliert Stanišić nicht das Interesse am Menschen hinter dem „Gelaber“, das Interesse an der Frage: „Wer beschimpft mich wie?“
Eine Art „Vorzeigemigrant“
Projektionen spielen für den Hass eine enorme Rolle. Hat Stanišić schon umfassend die Unsinnigkeit der Projektionen einer gesetzten, naturalisierten Herkunft, herausgestellt, wird zum Ende des Abends noch eine andere Projektion gebrochen: die des literarischen Wunderkindes Saša Stanišić, indem er aus dem Band „Wenn ich groß bin, werde ich Dichter“ einen seiner ersten Texte liest. Hier bricht zweifellos die Projektion des literarischen Genies, das ‚erst‘ mit 14 Jahren deutsch lernte und ‚trotzdem‘ erfolgreich geworden sei. Stanišić kontextualisiert, dass „Migranten in Deutschland nur auffallen, wenn sie extreme Leistungen vollbringen, oder wenn es nicht klappt“. Vorbild zu sein als eine Art Vorzeigemigrant sei ihm nicht angelegen, zumal dies immer einer politischen Instrumentalisierung gleichkäme.
Mit dem Verweis, dass man schlicht damit umzugehen lernen müsse, ein Verweis auf die Vor- und Nachteile des Ruhms, endet dieser Abend zwischen Comic relief und tiefenscharfer Kritik am herkömmlichen Sprechen über Herkünfte und über „Herkunft“. Er fügt sich, zwischen ernsthafter Dissonanz zum Diskurs und Unterhaltung. Allen zwischenzeitlichen Bedenken zum Trotz klappt das – und gibt dabei tiefere Einblicke in das Selbstverständnis und den Erfolg des Autors Saša Stanišić.
Saša Stanišić: Herkunft | Luchterhand | 368 S. | 22 €
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