Sonntag, 19. Februar: Der Preis der deutschen Filmkritik hat eine lange Tradition, da er seit 1956 regelmäßig verliehen wird und nach wie vor von sich behaupten kann, dass er der einzige deutsche Filmpreis ist, der komplett unabhängig von wirtschaftlichen oder regionalen Interessen vergeben wird. Dafür sorgen die im Verband der deutschen Filmkritik zusammengeschlossenen Kritiker:innen, die in jährlich wechselnden Jurys die Vorauswahl treffen und schließlich aus zumeist fünf Nominierten die Sieger küren, die in künstlerischer Hinsicht am meisten überzeugen konnten. Für die Verleihung des Preises der deutschen Filmkritik 2022 hatte man in der Berliner Akademie der Künste direkt am Brandenburger Tor in diesem Jahr eine passende Location gefunden. Zahlreiche Nominierte und weitere Vertreter:innen des Filmschaffens und der Filmkritik hatten sich am Nachmittag des ersten Berlinale-Sonntags dort eingefunden, um die Besten des Kinojahres 2022 zu prämieren. Loretta Stern sorgte zum wiederholten Male für die locker-professionelle Moderation der Preisverleihung. Ein erstes Highlight stellte die Auszeichnung des besten Kinderfilms dar. In der Kategorie konnte sich Tobias Wiemanns „Der Pfad“ gegen die beiden Konkurrenten „Der Räuber Hotzenplotz“ von Michael Krummenacher und „Das Glaszimmer“ von Christian Lerch durchsetzen. Wiemann erläuterte bei der Entgegennahme des Preises, dass es für ihn wichtig sei, die Fantasie von Kindern anzuregen, ihnen tolle Geschichten zu erzählen, ihnen zuzuhören, was diese sehen wollten und was sie selbst zu erzählen haben. In der Kategorie „Beste Bildgestaltung“ konnte sich Constantin Campean für „Grand Jeté“ gegen seine vier Mit-Nominierten behaupten. Er verriet schließlich, dass er seiner Kamera gerne Namen gebe, weil sie für ihn „ein eigenständiges Lebewesen“ sei, dass beim Film mitmacht. In diesem Fall hätte seine Kamera den Namen „Der bewachende Habicht“ erhalten. „Ich hatte das Gefühl, diese Geschichte brauche ihre Eigenart. Wir wollten, dass jeder Zuschauer am Ende seine eigene Moral daraus zieht, und wir nicht im Vorfeld mit dem Finger auf etwas zeigen und etwas verurteilen“, so Campean weiter.
Doppelsieg für Dokumentarfilmer Kaya
Einen Doppelsieg konnte Cem Kaya erringen, der für „Aşk, Mark Ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod“ sowohl für den besten Dokumentarfilm als auch für die beste Montage ausgezeichnet wurde. Der 1976 in Schweinfurt geborene Filmemacher hatte sich darin mit der Geschichte türkischer Musik in Deutschland im Laufe der letzten Jahrzehnte auseinandergesetzt und dabei auf eine Unmenge an bislang ungenutztem Archivmaterial zurückgreifen können, das er zusätzlich mit aktuellen Interviews unterfütterte. Kaya merkte an, dass die ersten Gastarbeiter bereits im Zug nach Deutschland gesungen hätten, da diese Form des musikalischen Geschichtenerzählens auf die anatolischen Poeten zurückginge. „Die ersten richtigen Konzerte haben dann in den Arbeiterheimen stattgefunden, bis schließlich findige Geschäftsleute darauf aufmerksam wurden und dann türkische Labels in Deutschland gegründet haben. In den Songs selbst hat man immer den Alltag thematisiert, die Schwierigkeiten und die Ausgrenzung“, erläuterte Cem Kaya die Hintergründe seines Films. Sein Film käme so lustig und leicht daher, aber trotz dieses Humors sei er eben auch ein Film über Rassismus und die Schwierigkeiten der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund.
Weitblick und künstlerischer Verstand
Der diesjährige Ehrenpreis des Preises der deutschen Filmkritik wurde dem Independent-Label Filmgalerie 451 und dessen beiden Gründern Irene von Alberti und Frieder Schlaich zugesprochen. Regisseur Heinz Emigholz, der mit dem Label seit vielen Jahren verbunden ist, hielt die Laudatio. „Man möchte Menschen wie Euch eigentlich überall sehen, als Politiker und Entscheider in der Filmförderung, als Lehrende an den Film- und Kunsthochschulen, in den Redaktionen der Sender und Streamingdienste“, lobte Emigholz den Weitblick und den künstlerischen Verstand der Ehrenpreisträger. In den Schauspielkategorien gingen die Preise an Moritz Treuenfels für „Axiom“ und an Saskia Rosendahl für „Niemand ist bei den Kälbern“, die leider beide nicht persönlich anwesend sein konnten. Schauspielerin Katharina Marie Schubert wurde für „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ für das beste Spielfilmdebüt gekürt. Für sie war es eine tolle Erfahrung, bei den Dreharbeiten mal nur zuschauen zu dürfen und nicht selbst vor der Kamera zu stehen. Bester Film des Jahres wurde „Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?“ von Alexandre Koberidze. Der Regisseur sagte auf der Bühne: „Das ist ein schöner Preis, denn er ist nicht personengebunden. Er sagt aus, dass dies ein guter Film ist, und diesen Film habe ich auch nicht alleine, sondern mit anderen zusammen gemacht. Wir haben bei diesem Film versucht, wundersame Ereignisse einzufangen.“ Was Koberidze offensichtlich gelungen ist, da er die Filmkritiker:innen mit dem Ergebnis überzeugen und sich gegen seine vier Konkurent:innen durchsetzen konnte.
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