Wer dieser Tage über die von Autofahrern, Fußgängern und Radfahrer gleichermaßen viel besuchten Ringe in der Kölner Innenstadt zwischen Zülpicher Straße und Friesenplatz radelt, hat ungewohnt viel Platz. Die rechte Autospur wurde vor wenigen Monaten in eine Fahrradspur umgewandelt. Hinter diesen, auf den Asphalt neu aufgepinselten, Fahrradmarkierungen stehen vier Jahre Überzeugungsarbeit und politisches Ringen der Bürgerinitiative #RingFrei.
Köln ist bundesweit Schlusslicht in puncto Fahrradfreundlichkeit
Eine Abfolge von mehreren tragischen Verkehrsunfällen, in denen Radfahrende zu Tode kamen oder schwer verletzt wurden, veranlasste #RingFrei-Gründer Reinhold Goss im Oktober 2015 einen sogenannten „Einwohnerantrag“ beim Stadtrat einzureichen. Ein solcher Antrag ermöglicht es Bürgern und Bürgerinnen, eigene politische Anliegen auf die Stadtrat-Agenda zu setzen. Ziel war es, endlich konkrete Maßnahmen zugunsten der Fahrradfahrenden umzusetzen. Auch eine Studie des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs belegt, dass in Köln dringend etwas passieren muss: Im bundesweiten Städte-Ranking hinsichtlich der Fahrradfreundlichkeit belegte Köln dieses Jahr den schmachvollen letzten Platz. Die Daten zeigen: In keiner anderen Großstadt (>500.000 Einwohner) sind die Radfahrenden mit der Verkehrssituation so unzufrieden wie in Köln. Gemäß der Befragung ist Fahrradfahren in Köln bisher vor allem zweierlei: gefährlich und stressig. Dank der Bürgerinitiative #RingFrei rund um Reinhold Goss hat und wird sich daran nun etwas ändern.
Fahrradfahren als Schnittstelle
Die bürokratischen Abläufe die auf den „Einwohnerantrag“ folgten, waren auch für die Initiatoren von #RingFrei zunächst Neuland. Es zeigte sich allerdings schnell, dass das Thema längst überfällig war und so konnte recht schnell eine breite Masse an Unterstützern mobilisiert werden. Das Thema „ging durch die Decke und nahm eine unheimliche Dynamik auf“, erinnert sich Reinhold Goss. Und auch bei der Zusammenarbeit mit dem Stadtrat manifestierte sich, dass Fahrradfahren ein Politikum ist, welches eine gesellschaftliche Schnittstelle darstellt und Menschen aus den unterschiedlichsten Lagern vereint. Kurzum: Fahrradfahren hatte in Köln zwar eine Lobby, nur keine gemeinsame Stimme.
Der 10-Punkte Plan
In einem breiten Bündnis aus Politik und den zivilen Akteuren wurde daraufhin ein 10-Punkte-Plan erarbeitet, der im Januar 2016 dem Bezirksbürgermeister der Kölner Innenstadt übergeben wurde. Die zentralen Forderungen bestanden in der Aufhebung der Benutzungspflicht des vorhandenen Radwegs sowie der vollständige Rückbau desselben. Radfahrende sollen, wie mittlerweile schon geschehen, ihre eigene Fahrspur neben den Autos mit einer Breite von 3,75 Meter bekommen. Außerdem sollen die Parkplätze an den Ringen in Ladezonen, sowie in Taxistände und Fahrradparkplätze umgewandelt werden. Zuletzt soll uneingeschränkt Tempo 30 gelten und eine, an die Fahrradgeschwindigkeit angepasste, grüne Welle installiert werden. Am 9. Juli dieses Jahres wurde der Plan (mit nur einer Gegenstimme aus der FDP-Fraktion) fast uneingeschränkt bewilligt. Die Maßnahmen sollen bis spätestens 2020 umgesetzt werden. Ein Resultat auf das Reinhold Goss zurecht stolz ist: „Klar, wenn ich heute über die Ringe fahre, freue ich mich tierisch!“.
Schaffung eines inklusiven öffentlicher Raums
#Ringfrei möchte die unterschiedlichen Verkehrsperspektiven (die der Einzelne ja auch wechselhaft besetzt – heute Radfahrer, morgen Fußgänger, übermorgen Autofahrer etc.) keineswegs gegeneinander ausspielen. Nutznießer der Neugestaltung sollen insbesondere, neben den Radfahrenden, auch Fußgänger sein. Verschwindet der Radweg vom Bürgersteig entsteht dort Raum, der durch Fußgänger vereinnahmt werden kann und soll, zum Beispiel im Sinne „nicht-kommerzieller Sitzmöglichkeiten“. Grundsätzlich besteht die Vision einer großzügigen Flaniermeile nach Pariser oder Wiener Vorbild. Zudem darf man hoffen, dass die verbesserte Verkehrslage fürs Fahrrad, die Wahrscheinlichkeit sich auf den Sattel zu schwingen und nicht hinter das Steuer zu klemmen, grundsätzlich steigert. Letztlich könnte dies zu einem Anstieg der Lebensqualität aller führen, denn ein geringerer Schadstoffausstoß fördert saubere Luft und damit unsere Gesundheit und schont gleichzeitig das Klima. Diese Gleichung scheint schon jetzt aufzugehen: Seit der Reduktion auf nur eine Autofahrspur auf den Ringen, ist der Autoverkehr dort signifikant zurückgegangen.
Kommunalpolitisches Engagement? Ja bitte!
Hartnäckigkeit, Geduld und immer wieder miteinander sprechen – so fasst Reinhold Goss die Erfolgsformel von #RingFrei zusammen. Zwar habe das Thema quasi „schon auf der Straße gelegen“, aber erst durch die Arbeit von #RingFrei wurden die amorphen Bedürfnisse gebündelt und in konkrete Forderungen transformiert. Die Bilanz über die Möglichkeiten politischer Teilhabe auf kommunaler Ebene fällt bei Reinhold Goss positiv aus. Sicherlich habe sein Engagement immens viel Zeit und Muße gekostet, aber die Kooperationsbereitschaft und das grundsätzlich konstruktive Klima, das habe ihn nachhaltig erfreut. Insbesondere die Erfahrungen auf der zwischenmenschlichen Ebene: zu erleben, was es heißt aufeinander zu zu gehen und Kompromisse auszuhandeln, seien wertvolle Lektionen für alle Beteiligten gewesen. Alle an den Tisch holen und durch intensive Vernetzungsarbeit breite Mehrheiten schaffen – eine Form der demokratischen Verkörperung, die auch für andere anspruchsvolle Themen adäquat und zeitgemäß erscheint. Reinhold Goss will an den Mut seiner Mitmenschen appellieren, sich in die Gestaltung der eigenen Lebensräume einzumischen:„Jeder der eine neue Idee für sein Viertel hat, kann so einen Antrag stellen!“
Damit Köln im kommenden Jahr beim Fahrrad-Klimatest besser abschneidet bleibt noch einiges zu tun. Aber dank der Bürgerinitiative #RingFrei, die sicherlich nicht ohne Signalwirkung bleiben wird, besteht die Hoffnung, dass Köln endlich die Kurve kriegt.
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