Haben Tänzer hässliche Füße? Das Gerücht hält sich jedenfalls hartnäckig, und wer einmal die Füße eines Stars wie Kang Sue Jin vom Stuttgarter Staatstheater aus der Nähe gesehen hat, der fühlt sich in seinem Vorurteil bestätigt. Mit ihren verbogenen Zehen, den eingedrückten Nägeln und der mächtigen Hornhaut fühlen sich Journalisten eher an Baumwurzeln denn an Elfenschweife erinnert. Aber gewöhnlich sehen wir die Füße der Tänzer ja nur auf dem Parkett – wenn die Betreffenden denn überhaupt barfuß agieren –, und da ihre natürliche Aufgabe in der Bewegung besteht, können wir nie wirklich prüfen, ob sie nun schön oder hässlich sind, und wollen uns möglicherweise auch keiner Illusion berauben lassen. Aber, wer den Tanz liebt, der muss sich auch trauen, den Schwänen auf die Füße zu schauen. Und die haben durchaus ihre Schönheitsideale, wie Barbara Fuchs erklärt: „Ein schöner Spann entzückt die Tänzer, deshalb klemmen sie die Füße auch schon einmal unter die Heizung. Auf keinen Fall darf jedoch der zweite Zeh länger als der Großzeh sein!“ Vor allem muss der Fuß flexibel sein, wenn er sich so richtig bis zum Anschlag biegen lässt, dann gehen einer Tänzerin die Augen über.“ Und die Tänzer selbst sind es auch, die gnadenlos die Rote Karte ziehen, wenn ihnen die Füße der anderen nicht gefallen. So wurde der großartige Cédric Andrieux wegen seiner „hässlichen“ Füße vom Pariser Konservatorium für Tanz fortgeschickt. Caroline Simon, eine wunderbar ausdrucksstarke Tanzpersönlichkeit aus der Truppe Resistdance, erzählt, dass sie „aus allen Wolken fiel“, als ihr bei der Prüfung am Konservatorium in Rotterdam beiläufig mitgeteilt wurde, sie habe ja keinen schönen Fuß. Eine Zurückweisung, die sie gut verkraftet hat, ihr selbst gefallen ihre Füße. Tatsächlich gibt es auch einen besonderen Stolz unter den Tänzern, etwa auf Blessuren „oder Blutkrusten, die adeln einen so richtig“, erklärt Barbara Fuchs schmunzelnd. So unterscheiden sich die Tänzer vom Ballett, die oftmals in Tanzschuhen agieren, deutlich von den Akteuren des Modern Dance, die ein demonstratives Selbstbewusstsein zur Schau tragen, dessen strenger Ehrenkodex das Barfußtanzen als unabdingbare Voraussetzung tänzerischen Ausdrucks betrachtet. „Man tanzt als zeitgenössischer Tänzer nicht mit Schläppchen, weil man dann nicht über den entsprechenden Bodenkontakt verfügt, man ist nicht verwurzelt“, meint Rendel Platz, Tanzpädagogin, die bei ihren jungen Schülerinnen vollkommen unideologisch arbeitet. Sonia Mota schätzt die Standsicherheit, die Bewusstheit, mit der man den Boden wahrnimmt, so dass die Energie von unten aufgenommen werden kann. Das hat Barbara Fuchs von der Brasilianerin gelernt, und sie selbst bringt jenes Gefühl, das uns beschleicht, wenn wir die Moderndancer barfuß gehen hören, mit den Worten auf den Punkt: „Der nackte Fuß wird breiter, steht mit mehr Fläche und funktioniert so, als besitze er Saugnäpfe“. Ja, Caroline Simon erinnern die gepflegten, rosafarbenen, hornfreien Füße der Normalos sogar an Babyfüße. „Nett“ findet sie die, „aber nicht sehr sexy“. „Wir nehmen die nackten Füße der anderen nicht als Blöße wahr, sondern kneten und biegen sie beim Aufwärmen ganz selbstverständlich“, verrät Barbara Fuchs. Und sie kommt ins Schwärmen, wenn sie an die Füße von Bruce Taylor denkt: „Riesenfüße, vollkommene Plattfüße, auf denen er geschlossen steht, ohne den kleinsten Hohlraum. Man sieht solchen Füßen an, welche Arbeit in ihnen steckt, die Hornhaut, die Adern, das alles erzählt von dem, was diese Füße schon gemacht haben“. Man könnte glänzende Augen bekommen, wenn man sie so reden hört, und wer denkt da noch an so lächerliche Kategorien wie schön oder hässlich?
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