Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
2 3 4 5 6 7 8
9 10 11 12 13 14 15

12.580 Beiträge zu
3.810 Filmen im Forum

Nikita Afanasjew
Foto: Eva Kienholz

Doppelte Enthüllung

02. Dezember 2024

„Sputnik“ von Nikita Afanasjew – Literatur 12/24

Berlin, Mitte der 2010er Jahre. Ein Journalist mit dem – einst zu Sowjetzeiten gekauften – Namen Leo Puschkin schreibt für eine Berliner Zeitung, ein „Regionalblatt mit bundesweiter Ambition“. Irgendwann beauftragt seine Vorgesetzte ihn, sich verdeckt vom russischen Auslandssender einstellen zu lassen und über dessen Praktiken zu berichten. Dieser Job zwingt Puschkin dazu, sich mit seiner Herkunft, seinem „inneren Osten“ auseinanderzusetzen, gar „knietief durch ostigen Sumpf zu waten“, wo er sonst ideologische Gräben meidet: „Ich bereute nicht, welche Seite ich zu wählen drohte – sondern hasste es, mich überhaupt für eine zu entscheiden.“ Stattdessen streckt er in seiner Freizeit mit einem Kumpel lieber Kaviar und navigiert – meist unter Einfluss diverser Spirituosen – durch die Fallstricke seines Reporterdaseins. Weil der Undercover-Auftrag nicht läuft wie geplant, schreibt Puschkin die Geschichte achteinhalb Jahre später trotz unterzeichneter Schweigeverpflichtung als Roman auf.

Nikita Afanasjew legt mit „Sputnik“ eine fiktive Autobiografie vor, die trotz ernster Themen mit Leichtigkeit aufwartet – etwa wenn Puschkin versehentlich als Online-Trolls arbeitende Personen während seiner verdeckten Ermittlung enttarnt. Dass ihn der unterwanderte Sender mit einer zusätzlichen Enthüllungsstory über seinen früheren Arbeitgeber beauftragt, führt zu einem herrlichen Verwirrspiel. Autor Afanasjew, selbst Journalist, geht so aus verschiedenen Perspektiven mit der „Journaille“ und den Praktiken rund um möglichst skandalöse Aufmacher ins Gericht. Sein Schreibstil bereitet dabei Vergnügen in jedem Absatz: Er zeichnet mit seiner Sprache reichhaltige Bilder, etwa von der im Vergleich ehrlichen körperlichen Arbeit des Kaviar-Streckens oder von Berlin, das „wie ein leckgeschlagenes Boot behäbig mit Touristen volllief“. Zudem begleitet er seinen Ermittler wider Willen nicht nur empathisch, sondern auch ironisch-distanziert, berichtet er die Ereignisse doch aus der Retrospektive. Auch das offene Ende mit Varianten im Epilog ist selbstironisch gehalten.

Nikita Afanasjew: Sputnik | Deutsche Originalausgabe | Voland & Quist | 224 S. | 24 Euro

Melanie Schippling

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Vaiana 2

Lesen Sie dazu auch:

Deutsch-türkisches Panorama
Gespräch über „Sankofa“ im Literaturhaus Köln

Kindheit im Lager
Lesung „Das Gänsespiel“ im Literaturhaus Köln

Hebräische Sprachwelten
Gundula Schiffer liest in Köln

Sinnsuche und Wachstumswahn
Markus Gabriel in der Stadtbibliothek Köln

Eine wahre Liebesgeschichte
Thomas Strässles „Fluchtnovelle“ – Textwelten 12/24

Übergänge leicht gemacht
„Tschüss und Kuss“ von Barbara Weber-Eisenmann – Vorlesung 11/24

Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24

Zurück zum Ursprung
„Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen“ von Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger – Vorlesung 10/24

Eine Puppe auf Weltreise
„Post von Püppi – Eine Begegnung mit Franz Kafka“ von Bernadette Watts – Vorlesung 10/24

„Keine Angst vor einem Förderantrag!“
Gründungsmitglied André Patten über das zehnjährige Bestehen des Kölner Literaturvereins Land in Sicht – Interview 10/24

Risse in der Lüneburger Heide
„Von Norden rollt ein Donner“ von Markus Thielemann – Literatur 10/24

Frauen gegen Frauen
Maria Pourchets Roman „Alle außer dir“ – Textwelten 10/24

Literatur.

HINWEIS