Kinokalender
Mo Di Mi Do Fr Sa So
23 24 25 26 27 28 29
30 31 1 2 3 4 5

12.582 Beiträge zu
3.812 Filmen im Forum

Raum für „eigene“ Träume und Strukturen
Foto: Avantgarde / Adobe Stock

Stachel mit Widerhaken

25. Juli 2023

Das Autonome Zentrum an der Gathe lebt linke Werte – Teil 3: Lokale Initiativen

„Die machen teilweise sehr gute Arbeit in die Stadtgesellschaft“, also ins Ganze von Wuppertal hinein, hieß es über das Autonome Zentrum (AZ) neulich von offizieller Seite: Oberbürgermeister Uwe Schneidewind sprach bei seiner Halbzeitbilanz in der Volkshochschule dem AZ seine Anerkennung aus. Damit war er nicht allein: Ein Bürgerbegehren gegen den Abriss des AZ (den der OB wiederum unterstützt) unterschrieben laut dem Bündnis Gathe für alle über 10.000 Menschen.

„An der Gathe“, streng genommen: In der angrenzenden Markomannenstraße findet der linke Treff sich seit Anfang der 2000er Jahre, nachdem die Stadt zuvor einige Adressen zur Verfügung gestellt hatte. Die eigentliche Gründung datieren seine Freunde schon im Jahr 1973 – damals gab es vielerorts alternative Initiativen, genannt etwa „Jugendkulturzentren“ oder „Autonome Zentren“.

Gelebte Kapitalismuskritik

Autonom heißt „nach eigenen Gesetzen“ oder „selbstverwaltet“. An der Gathe bedeutet das: Man will möglichst hierarchiefrei leben und trifft wichtige Entscheidungen nach kollektiver Absprache. „Linke Träume, Ideen, Konzepte und Strukturen“, formuliert es der AZ-Freund „Mosche“, „erhalten hier ein festes Dach über dem Kopf“. Dazu gehört, dass die Getränkepreise unprofitabel niedrig sind.

Doch das „Eigene“ beschränkt sich nicht auf Basisdemokratie und günstige Limonade. Man definiert sich auch übers Kontra: Das AZ ist Garant für Widerständigkeit, Hort gelebter Kapitalismuskritik, nicht weit von der als konsumfixiert zumindest lesbaren City. Ein Stachel im Fleisch, mitten in Elberfeld. Es bietet inhaltliche Substanz, sowohl mit lokalem als auch globalem Blick: Vorträge behandelten den Anarchismus auf den Philippinen, Aktionen vor Ort ermunterten ganz praktisch zum Sperrmüllklau – „Die Stadt Wuppertal besitzt die Frechheit, den Sperrmüll ganz für sich alleine zu wollen“. Es gibt Veranstaltungen, die sich mit Polizeigewalt befassen.

Ungewohnte Opposition

Zum drohenden Abriss des AZ: Nach städtischem Plan soll an der Gathe eine DITIB-Moschee entstehen, wofür das Autonome Zentrum weichen müsste. Sich gegen ein muslimisches Projekt zu stellen, ist für hiesige Linke eine ungewohnte Erfahrung. Den Hintergrund fasste der Erzieher und Blogger Kurt Schmalle in der Zeitschrift Agathe! zum Bürgerbegehren zusammen: „Die islamische Rechte, für die DITIB beispielhaft in der BRD steht, expandiert mit freundlicher Unterstützung bürgerlicher Parteien, am Ende des Tages zum Nachteil linker Strukturen.“ – Selbstverständlich argumentiert man im AZ auch ökonomisch: Die Stadt wolle eine rücksichtslose „Aufwertung“ der Gathe: Verdrängt würden neben dem AZ „auch alle anderen, die nicht finanzstark genug sind, sich steigende Mieten leisten zu können”.

Sorge vor möglicher Eskalation

„Autonome“, das Wort kann gefährlich klingen. Vermummte Gestalten verbinden sich damit in vielen Köpfen. Auch im Wuppertaler AZ lässt man sich ungern ohne Maske fotografieren. Doch mit einer reinen Bürgerschreck-Pose erklärt sich das kaum: Keine Frage, das AZ hat Feinde und steht unter Beobachtung.

OB Schneidewinds kommentierte in der VHS auch: „Ich hoffe, dass das nicht in einer unglücklichen Weise eskaliert und das AZ dann womöglich jegliche Akzeptanz in der Stadtgesellschaft verliert.“ So ist das wohl mit Rebellen, Stadt und Stadtgesellschaft: Es bleibt ein Kampf.


GRENZVERLETZUNG - Aktiv im Thema

deutschlandfunkkultur.de/verrohte-gespraechskultur-der-wille-zum-missverstaendnis-100.html | Der Philosoph Arnd Pollmann pointiert, wie „gezieltes Falschverstehen“ öffentliche Debatten skandalisiert, um die eigene Deutungshoheit durchzusetzen.
kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de | Gegen Hassrede und Gewalt im Internet haben sich vier Organisationen zusammengeschlossen: Das Nettz, Hate Aid, Jugendschutz.net und Neue deutsche Medienmacher*innen.
woche-der-meinungsfreiheit.de | Die vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels initiierte Aktion macht „auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine freie, demokratische und vielfältige Gesellschaft aufmerksam“.

Fragen der Zeit: Wie wollen wir leben?
Schreiben Sie uns unter meinung@choices.de

Martin Hagemeyer

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.

Neue Kinofilme

Mufasa: Der König der Löwen

Lesen Sie dazu auch:

Erst die Tat, dann der Glaube
Intro – Grenzverletzung

Gefährliche Kanzel-Culture
Für mehr Streit und weniger Feindbilder – Teil 1: Leitartikel

„Mich besorgt die Feigheit der Mitte“
Journalist Ijoma Mangold über Cancel Culture und Diskursgrenzen – Teil 1: Interview

Hass gegen die Presse
Journalistin Corinna Blümel (KJV) über Empörungskultur – Teil 1: Lokale Initiativen

Wo europäische Werte enden
Menschen aus dem globalen Süden dürfen nicht einfach so in die EU – Teil 2: Leitartikel

„Besser keine Reform als eine menschenrechtswidrige“
Asylrechtsexpertin Sophie Scheytt von Amnesty International über die EU-Asylreform – Teil 2: Interview

Hilfspakete an Europas Außengrenzen
Die Dortmunder Flüchtlingsinitiative Grenzenlose Wärme – Teil 2: Lokale Initiativen

Auf dem rechten Auge blind
Verfolgungseifer von Behörden, Politik und Presse gegen Linke – Teil 3: Leitartikel

„Auf den Verfassungsschutz zu setzen, reicht nicht aus“
Sozialpsychologe Andreas Zick über Gefahren durch politischen Extremismus – Teil 3: Interview

Für Kunstfreiheit und Menschenrechte
Safemuse gibt verfolgten Künstler:innen sichere Zufluchtsorte – Europa-Vorbild: Norwegen

Die Große Freiheit
Menschen und die Grenzen des Wahnsinns – Glosse

Lokale Initiativen

HINWEIS