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Sich auf die Reise begeben, bedeutet nicht für alle das Gleiche
Foto: Jiri / Adobe Stock

Wo europäische Werte enden

25. Juli 2023

Menschen aus dem globalen Süden dürfen nicht einfach so in die EU – Teil 2: Leitartikel

Ich packe meinen Trolley, Koffer, Rucksack – und verreise nach Irgendland. Ich kann das, weil ich aus Deutschland komme und deutsche Reisende in 190 Länder der Welt ohne Visum einreisen können. Was für ein Luxus. Ob als Low-Budget-Rucksackreisende:r, Business Traveller oder Tourist:in mit großem oder kleinem Reisebudget – für uns gibt es kaum Grenzen, die Welt steht uns offen. Woher dieses Privileg kommt? Weil wir die besseren Menschen sind? Die Vorbildreisenden? Diejenigen, die Abenteuer in der Fremde erleben dürfen? Egal, warum wir reisen, es ist für uns eine unhinterfragte Selbstverständlichkeit, mobil sein zu dürfen.

Für sehr viele Menschen gilt dieses Privileg nicht. Sie müssen umständliche Formulare ausfüllen, Gründe nennen, warum sie verreisen wollen und ein volles Bankkonto vorweisen, ehe sie zum Beispiel aus einem Land wie Ghana nach Deutschland einreisen dürfen. Nur hohe Beamte, Politiker:innen und Geschäftsleute kommen in den Genuss eines deutschen Visums. Neuerdings bekommen Menschen aus Ghana nur dann ein deutsches Einreisevisum, wenn sie zusätzlich zu den bereits genannten Bedingungen mindestens schon drei Mal in ein Schengen Land eingereist sind. Heißt: Wer noch nie in Europa war, darf nie nach Europa.

Wer nie hier war, darf nicht herkommen

Wundert es, dass sich Viele ohne die ganzen Visa-Formalitäten auf den Weg machen? Jene, die keine Zeit für den ganzen Bürokratiekram haben, weil die Ausreise drängt? Jene, die vor Kriegen und autokratischen Regierungen, vor Hunger und Elend flüchten? Jene, die ohnehin keine Chance auf ein Visum haben? Es treibt auch sie in die EU, wo angeblich Demokratie und Menschenrechte herrschen. Hier hoffen sie Asyl, Arbeit und eine lebenswerte Zukunft zu finden.

Schon Touristen und Geschäftsreisende aus dem globalen Süden sind nicht gerade willkommen und müssen für ein Visum große Hürden erklimmen. Noch weniger willkommen sind da die Menschen, die hier Schutz und ein neues Leben suchen, und das, obwohl die Genfer Flüchtlingskonvention Geflüchteten Religions- und Bewegungsfreiheit, das Recht zu arbeiten, das Recht auf Bildung und das Recht auf den Erhalt von Reisedokumentationen zusichert. Diese Rechte werden zunehmend eingeschränkt. Im Juni erst trafen sich die Innenminister:innen der EU-Staaten, um neue vereinheitlichte Richtlinien zu verankern, die es Menschen noch schwerer machen sollen, nach Europa zu gelangen. Der Entwurf will erstmals Asylverfahren an Europas Außengrenzen ermöglichen, damit Menschen mit geringen Aufnahmechancen gar nicht erst in die EU kommen. Statt ein Europa der offenen Grenzen sollen neue geschlossene Sammellager (Asylzentren) entstehen, wo unerwünschte Menschen wie Gefangene gehalten werden sollen. Dabei wissen wir jetzt schon um die menschenunwürdige Situation in den überfüllten Lagern in Moria und Lampedusa.

Unerwünschte Menschen 

Wie gern werden die europäischen Werte zitiert, wenn es darum geht, andere Staaten zu kritisieren. Dann beruft sich die Union gerne auf die Achtung der Menschenwürde und die Wahrung der Menschenrechte. Freiheit, Demokratie, Gleichheit – das sind Werte, auf die sich die Union gründet. Doch wenn es um die Sicherung der Grenzen geht, zählen diese Werte scheinbar nicht.

Wir packen unsere Koffer und reisen, wohin wir wollen. Grenzenlos frei. Dabei sollten wir uns stets darüber bewusst sein, dass dies ein großes Privileg ist, das den meisten Menschen vorenthalten bleibt.


GRENZVERLETZUNG - Aktiv im Thema

deutschlandfunkkultur.de/verrohte-gespraechskultur-der-wille-zum-missverstaendnis-100.html | Der Philosoph Arnd Pollmann pointiert, wie „gezieltes Falschverstehen“ öffentliche Debatten skandalisiert, um die eigene Deutungshoheit durchzusetzen.
kompetenznetzwerk-hass-im-netz.de | Gegen Hassrede und Gewalt im Internet haben sich vier Organisationen zusammengeschlossen: Das Nettz, Hate Aid, Jugendschutz.net und Neue deutsche Medienmacher*innen.
woche-der-meinungsfreiheit.de | Die vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels initiierte Aktion macht „auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit für eine freie, demokratische und vielfältige Gesellschaft aufmerksam“.

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Tina Adomako

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