Ob die Inspiration für seine Produktionen der Musik oder dem Tanz entspringen, vermag Hofesh Shechter – das derzeitige Enfant terrible der internationalen Tanzszene – selbst nicht zu entscheiden. Wer jetzt sein Gastspiel „Political Mother“ im Schauspielhaus Köln sah, zweifelt nicht mehr daran, dass in der Welt des israelischen Choreographen die Musik gleich einem Vollblut den Tanz hinter sich her schleift. Alles beginnt mit einem Samurai, der sich ein Schwert in die Gedärme stößt. Zorniger kann man eine Inszenierung kaum beginnen. Shechter setzt aber noch eins drauf, indem er ein infernalisches Getöse entfesselt, das von einem halben Dutzend E-Gitarren erzeugt wird.
Eindrucksvoll sieht das aus, wenn die Gitarristen auf einer Galerie in Höhe der zweiten Etage dem vollbesetzten Haus einheizen. Diese Geräuschkulisse hält über fast eine halbe Stunde an, und wenn Shechter einmal auf Kompositionen von Johann Sebastian Bach oder Verdi zurückgreift, dann nur, um sein Publikum zu täuschen. Denn sobald man sich der Illusion hinzugeben beginnt, dass nun sanfteres Fahrwasser angesteuert würde, wird das Publikum gleich wieder mit abrupt einsetzenden Lärmgewittern erschreckt. Hofesh Shechter, der 2002 mit seiner Band aus Israel nach London übersiedelte und mit wuchtigen Choreographien auf sich aufmerksam machte, ist kein Kind von Traurigkeit. Er will sein Publikum aufrütteln, und er lässt sich dabei bedingungslos auf das gefährliche Spiel der Effekte ein.
Politische Bezüge verdunsten schnell in choreographischen Gemeinplätzen zum Thema Kontrolle und Unterdrückung. Das Bewegungsrepertoire der Kompanie bleibt im Lärm der Gitarren auffallend blass. Der Tanz vermag der Durchschlagskraft des Sounds nicht ebenbürtig zu antworten, auch deshalb, weil die Gesten und Bilder nur vordergründig reizvolle Arrangements abgeben. Erzählerisches Gehalt ist Shechters Sache nicht. Politik bleibt nur ein Reizwort, zu dem ihm Späße einfallen, Engagement scheint nicht sein Thema zu sein. Verpackung statt Inhalt, das ist hier die Devise, kratzig und überraschend soll sich Shechters Beitrag zum zeitgenössischen Tanz ausnehmen. Das gelingt ihm nur streckenweise, bis sich die Effekte abschleifen, die musikalische Dröhnung lässt sich nach zwei Dritteln der Aufführung nicht mehr steigern. Shechter wird ein Opfer seiner brachialen Dramaturgie. Der lustvoll zelebrierte Zorn dieser Produktion verweht doch zu bald.
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