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Rafael Sanchez
Foto: Tommy Hetzel

„Es wird ein Kampf um Vormachtstellung propagiert“

27. Februar 2024

Rafael Sanchez inszeniert „Die letzten Männer des Westens“ am Schauspiel Köln – Premiere 03/24

Der Journalist Tobias Ginsburg hat sich Männerbünden von rechten Rappern, Incels, MGTOWs (Men go their own way) und Burschenschaftlern ein Jahr lang verdeckt angeschlossen und ihre Verbindung zu rechten Netzwerken offengelegt. Am Schauspiel Köln bringt Regisseur Rafael Sanchez das Buch nun auf die Bühne.

choices: Herr Sanchez, was hat sie dazu bewegt, Tobias Ginsburgs Buch „Die letzten Männer des Westens“ auf die Bühne zu bringen?

Rafael Sanchez: Die Dramaturgin Sibylle Dudek hat mir Tobias Ginsburgs Buch auf den Tisch gelegt und ich fand das extrem pointiert und plastisch geschrieben. Manchmal habe ich Tränen gelacht, weil das Beschriebene so absurd ist. Dann musste ich das Buch beiseitelegen, weil es ekelhaft ist, wie gerade junge Männer rekrutiert werden, in dem „Mannhaftigkeit“ als Ideal postuliert wird – auf Kosten von Frauen und queeren Menschen. Ginsburg beschreibt in Wallraff-Manier die Welt der Antifeministen und rechten Männerbünde, für die ich bisher eher blind war.

Ginsburgs schreibt seine Undercover-Recherche in der Ichform. Wie gehen Sie damit theatralisch um?

Als Tobias Ginsburg vor einigen Monaten mit einer zweistündigen Show zum Buch im Arttheater zu Gast war, dachten wir: Das ist das Stück! Man müsste nur Tobias Ginsburg mit seiner Showmasterqualität auf die Bühne stellen. Er selbst ist mit dem Buch auf Tournee gewesen und ist ein sehr guter Performer. Leider erlaubt sein Terminkalender nicht, dass er bei jeder Vorstellung dabei sein kann. Er wird sich in Form von Videos zu Wort melden und beschreiben, wie er in die Recherche einstieg und welche Rolle seine jüdische Herkunft in diesem Zusammenhang spielt. Auf der Bühne wird die Schauspielerin Yvon Jansen uns erklärend durch diese verschiedenen Sphären der sogenannten Manosphere führen.

Was versteht man eigentlich unter dem Begriff der Manosphere?

Streng genommen ist das ein Begriff, der sich auf den digitalen Raum bezieht und Blogs, Websites und Foren umfasst, in denen es um Themen der Männlichkeit und Selbstoptimierung als Mann geht – dabei oft kombiniert mit misogynen Inhalten. Männerbünde gibt es aber natürlich auch in der analogen Welt. Die Message von Tobias Ginsburg ist, dass diese Manosphere, also die Welt der Männerbünde, sehr heterogen ist und in völlig verschiedene Gruppierungen zerfällt; von eher harmlosen männerbündischen Zusammenkünften wie einer Vorfeldorganisation der FDP über die Männer-Coaching- und Pick-up-Szene, die Burschenschaften bis zu rechten Rappern. Er besucht aber auch in den USA eine rechte Straight Pride Parade, bei der für die Vorrechte heterosexueller Männer demonstriert wird. Bei einem Zusammentreffen Neurechter in einem Lokal in Nürnberg demonstriert vor der Tür die Antifa. Deshalb schließen die Neurechten alle Fenster und ziehen die Vorträge Nonstop in acht Stunden durch – das bürge für mich enormes Ermüdungspotential.

Was sind das für Männer, die sich in diesen Gruppierungen zusammenfinden?

Tobias Ginsburg beschreibt in einem Anflug von Satire immer wieder seine Enttäuschung, dass es sich bei den Teilnehmern um ganz normale Männer handelt: Einige sind nur wegen ihrer Scheidung frustriert; andere versuchen nur mit ihrem Youtube-Kanal Geld zu machen; es gibt Dorf-Jungs, die kein Mädchen abgekriegt haben; andere fühlen sich durch die progressiven gesellschaftlichen Entwicklungen abgehängt oder benachteiligt. Der Antifeminismus ist dabei der kleineste gemeinsame Nenner aller dieser Männerbünde. Aus diesem Pool können sich dann rechte Parteien und Gruppierungen sehr gut politisch bedienen. Und dieser Rechtsdrall, diese kuriosen Netzwerke aus rechtsextremen und kirchlichen Zusammenschlüssen haben mich letztlich bewogen, das Buch auf die Bühne zu bringen.

Wenn das alles auch so komisch ist, besteht da nicht die Gefahr, dass man diese bedrohliche Welt der Neurechten einerseits zwar der Lächerlichkeit preisgibt, sie andererseits damit aber auch verharmlost?

Das ist sowieso immer eine Gefahr von uns Theaterleuten. Wir können vermeintlich überall mitreden. Bei Tobias Ginsburg ist es deswegen anders, weil er den Humor ganz bewusst einsetzt und Dinge so kleinteilig beschreibt, dass einem das Lachen beim Lesen im Halse stecken bleibt. Oder das Beschriebene zur traurigen Groteske wird. Ja, wir haben uns lange nicht für diese rechte Parallelgesellschaft interessiert, waren überheblich und haben uns darüber lustig gemacht. Aber es muss uns ganz dringend interessieren, was da passiert, weil es eine Gefahr darstellt. Mulmig muss uns werden, weil es jetzt Menschen mit einem Plan gibt, die diese Energie dieser zutiefst frustrierten Männer politisch für ihre Zwecke nutzen wollen.

Gibt es denn eine Beschreibung von Tobias Ginsburg, was zeitgenössische Männlichkeit wäre?

Also das ist eine gute Frage. Er zeigt an vielen Beispielen, was es für diese Leute bedeutet, männlich zu sein. Da geht es dann auch um einen männlichen Körperkult, um Kraft, Stärke und dass Frauen anstatt Emanzipation eher sich geborgen fühlen wollen usw. Aber was sein Bild von Männlichkeit ist, das versucht er erst gar nicht zu beantworten.

Der Körperkult hat eine sehr lange Tradition, man erinnert sich an Klaus Theweleits Buch der „Männerphantasien“. Und heute gibt es Fitnessstudios. Hat der Körperkult, den im Buch vor allem die rechten Rapper kultivieren, also auch gesellschaftliche Gründe, z.B. die Entwertung des Körpers in der digitalen Moderne?

Das ist vielleicht die unterbewusste Ebene, die Sie jetzt beschreiben. Aber die Argumentation der Rechten im Buch lautet: Wir trainieren nicht, um gut auszusehen, sondern, um bereit zu sein. Denn Frauen finden, so die absurde Argumentation, Alphamänner besser und diese Alphamänner sind die Araber und Türken, die ihren Frauen sagen, was sie zu tun haben. Es wird ein Kampf um eine Vormachtstellung propagiert. Und das zweite Argument lautet, dass der Kampf jetzt beginnt und dazu müsse man körperlich fit sein. Es geht diesen Männern also nicht um Ästhetik.

Gibt es dementsprechend auch einen muslimischen Antifeminismus?

Das Potential für Antifeminismus finden wir überall. Aber die Eifersucht dieser deutschen Männer macht sich daran fest, dass bei den Muslimen vermeintlich ihre patriarchalische Dominanz noch offen ausleben dürfen und die deutschen Frauen diese muslimischen Männer angeblich genau deswegen schätzen. Ginsburg legt seinen Fokus klar auf Männer des Westens.

Könnte man sagen, dass Tobias Ginsburgs Recherche, sich also als deutscher Jude unter Neonazis zu mischen, nicht schon männlich-heldenhaft ist?

Ich finde das super heldenhaft. Das davor gestellte „männlich“ braucht es gar nicht. Ich würde mich das nicht trauen und finde das eher abstoßend, mir würde das das Leben versauen. Aber er bohrt sich so rein in diese Sache. Und er hat diese Leute, die er besucht hat, auch jetzt noch am Hals.

Müssen wir bis zu einem gewissen Grad auch Verständnis für diese vermeintliche Kränkung von Männlichkeit aufbringen?

Inhaltlich ist mir das völlig fremd, ich kann allenfalls das Kameradschaftliche der Gruppe, die Wärme der Gleichgesinnten nachvollziehen. Ansonsten denke ich, wir müssen das nicht verstehen oder nachvollziehen können. Wir laden die AfD doch längst ganz selbstverständlich in alle Talkrunden ein und reden mit ihr. Wir kommen ihr also bereits weit entgegen. Der Rechtsrutsch hat längst stattgefunden. Die Diskussion um das Wort „Remigration“, das letztlich nichts anderes als Deportation bedeutet, zeigt das ganz deutlich. Damit wurde das Wort quasi erst hoffähig gemacht und wir sind alle ein Stück weiter nach rechts gerutscht.

Die letzten Männer des Westens | 22., 26.3. | Schauspiel Köln | 0221 22 12 84 00

Interview: Hans-Christoph Zimmermann

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