Das Impulse Theaterfestival zeigt im jährlichen Wechsel in Köln, Düsseldorf und Mülheim an der Ruhr Produktionen des Freien Theaters aus dem deutschsprachigen Raum. In diesem Jahr findet der Showcase in der Studiobühne Köln statt, die Akademie im Düsseldorfer FFT und das Stadtprojekt im Mülheimer Ringlokschuppen. Ein Gespräch mit dem Künstlerischen Leiter Haiko Pfost.
choices: Herr Pfost, großes Erzähltheater, Pantomime, eine Revue – so viele populäre Formate waren lange nicht mehr bei den Impulsen zu sehen. Bedient das Freie Theater nach der Pandemie plötzlich den Mainstream?
Haiko Pfost: Um Zuschauer zu erreichen, bedienen sich die Künstler:innen populärerer Formate mit dem Ziel, brisante politische Inhalte auf eine lustvolle und herausfordernde Weise zu präsentieren. Das ist eine große Qualität der Freien Szene. Außerdem hat es uns sehr viel Spaß gemacht, Theaterformen im Festivalprogramm zu zeigen, die man so nicht erwartet.
War die Freie Szene in den letzten Jahrzehnten doch etwas zu verkopft?
Es geht schlicht darum, dass man Publikum haben will und nicht alleine da sitzen will mit seinen Konzepten. Wir haben allerdings immer schon versucht, populäre Formate im Programm zu zeigen. Ich bin selbst ein Arbeiterkind und komme aus einem Dorf, in dem es ein Dorftheater gibt. Mir war immer sehr wichtig, uns auch jenseits der Hochkultur zu verorten, auch populäre Formen der darstellenden Künste mit einzubeziehen. Deshalb haben wir hier auch einmal ein Projekt mit Gardetänzerinnen von einem Karnevalsverein oder eben auch Dorftheater gemacht.
Apropos Arbeiterkind: „Die große Klassenrevue“ von Christian Rösinger bringt Arbeiter selbst auf die Bühne und macht dabei auch die Rangordnung klar.
Die Klassenrevue ist tatsächlich im besten Brechtschen Sinn lehrstückhaft. Da werden politische Inhalte wie die Klassenfrage auf sehr humorvolle, lustvolle Weise verhandelt. Ich habe die einzelnen Biografien nicht überprüft, aber laut Selbstaussage des Teams entstammen die Darsteller:innen auf der Bühne alle durchweg Arbeiterfamilien. Also die Bühne gehört den Arbeiter:innen und ihren Kindern, die Akademikerkinder dagegen dürfen an den Musikinstrumenten für die große Show der Arbeiter aufspielen.
Empathie mit Entrechteten galt lange als Goldstandard im Theater – auch wenn es hinter der Bühne toxisch zuging und die Unterdrückten nie selbst zu Wort kamen. Die Produktion „SPAfrica“ stellt die Frage, was es mit dieser Empathie auf sich hat.
Sowohl Julian Hetzel als auch Ntando Cele waren beide schon mal beim Impulse Theater Festival zu Gast, mit sehr unterschiedlichen, aber in beiden Fällen herausfordernden Produktionen, die viel Widerstand ausgelöst haben. Es ist interessant, dass diese beiden Künstler:innen in „SPAfrika“ zusammenarbeiten und ihre Positionen nochmal zuspitzen. Die Grundidee des Konzeptes lautet, dass Tränen der Empathie getauscht werden gegen Wasser. Das ist erst mal eine Theaterbehauptung, die aber die Frage stellt, was Ntando Cele letztlich tun muss, damit wir weißen Zuschauer empathisch (mit)leiden können. Mit dieser Ambivalenz spielt die Produktion und stellt so auch Fragen nach der Schuld und der Verantwortung des Zuschauers.
Das Publikum des Freien Theaters ist wie das des Stadttheaters ist ein weißes bürgerliches Publikum, das sich mit Klassismus, Rassismus, Diversität usw. auseinandersetzt – muss man das auch kritisch hinterfragen?
Alle Produktionen verbindet, dass man seine eigene Sichtweise, seine Position überprüft und dadurch letztlich herausgefordert wird. Nichtsdestotrotz würde ich behaupten, dass wir ein anderes Publikum haben als das Stadttheater. Auch wenn unser Publikum über ein höheres Bildungsniveau verfügt, ist es doch kein klassisches bürgerliches Publikum. Der Altersdurchschnitt im Freien Theater liegt bei 30 oder 40 Jahren. Im Stadttheater eher bei 60 bis 80 Jahren. Das liegt vor allem an den Formaten, die wir anbieten.
Als Erfinder der Pantomime gilt Jean-Gaspard Deburau, der selbst Migrant war und in den 1830er Jahren vor Arbeitern gespielt hat. Was bedeutet das, wenn die Produktion „Old White Clowns“ diese Theaterhistorie jetzt wiederbelebt?
Deburau hat das Manko, dass er nämlich kein Französisch konnte, zu einem Vorteil umgemünzt und zu einem pantomimischen Ausdruck gefunden. Die Produktion erzählt einerseits ein wenig Theatergeschichte, andererseits bedient sie sich der Körpersprache – beides erwartet man erst einmal nicht in der freien Szene, die weitgehend konzeptionell geprägt ist. „Old White Clowns“ beleuchtet die Pantomime neu und macht deutlich, wie eine marginalisierte Person trotzdem eine Sprache, nämlich eine körperliche Sprache, findet, die andere Verbindungen herstellen kann als die gesprochene Sprache; die als Volkstheater auch eine andere Zugänglichkeit besaß und besitzt und die eben auch eine Form der Narration findet, die über den klassischen Dramentext hinausgeht. Die Produktion spielt mit unserer Erwartungshaltung an Standards der freien Szene, die hier allerdings nicht erfüllt werden.
Seit einiger Zeit versucht die Rechte, nicht nur politisch, sondern auch kulturell an Boden zu gewinnen. Beim Festival „Wildwechsel“ in Zwickau wurde kürzlich die Produktion „Lecken“ verboten. Die Impulse zeigen nicht nur diese Produktion, sondern setzen sich in der Akademie in Düsseldorf unter anderem mit diesem Druck von rechts auseinander.
Die Akademie findet in Kooperation mit den bundesweiten Foren des Fonds Darstellende Künste statt. Die Angriffe auf Verfassung, Rechtsstaatlichkeit und die Freiheit der Kunst nehmen zu, das ist offensichtlich, vor allem in Ostdeutschland. Deshalb war es uns ein Anliegen, den Dialog aufzunehmen. Zum einen zeigen wir die Produktion „Lecken“ des Performancekollektivs Chicks. Zum anderen wollen wir mit Betroffenen aus Ostdeutschland, die bereits weit stärker unter Druck stehen als wir hier in NRW, ins Gespräch kommen. Und schließlich wollen wir ausloten, inwieweit wir uns in der Auseinandersetzung auf rechtsstaatliche und verfassungsrechtliche Grundlagen berufen können und welche Folgen das für unseren eigenen Code of Conduct (übersetzt: Verhaltenskodex, Anm. d. Red.) haben könnte. Das Freie Theater hat sich sehr viele Vorgaben gemacht. Ich war angesichts umfassender Verbotspolitiken eher zurückhaltend, gerade weil die andere Seite das schamlos für sich ausnutzt. Wir haben die Karten auf den Tisch gelegt und der Gegner hat die Asse aufgenommen. Das ist das große Problem. Jetzt müssen wir versuchen, wieder ins Spiel zu kommen. Das geht für mich nur, indem wir die Demokratie und den Rechtsstaat verteidigen.
Schließlich gehen die Impulse beim Stadtprojekt in Mülheim an der Ruhr zum Schwimmen ins Freibad. Sollen wir uns fit machen für den Kapitalismus, geht die Freie Szene baden oder was ist die Idee dahinter?
Das Schwimmbad war einmal eine Utopie eines gemeinsamen öffentlichen Raumes, und wir stellen die Frage: Gibt es diese Utopie eigentlich noch? Seit der Corona-Krise boomt die Pool-Branche, wer das Geld hat, baut sich einen privaten Swimming-Pool. Gleichzeitig müssen öffentliche Schwimmbäder schließen, immer weniger Kinder und Jugendliche lernen schwimmen. Auch Mülheim drohte ein Sommer ohne Freibad. Im letzten Sommer war das öffentliche Schwimmbad zudem auch ideologisch umkämpft. Stichwort: Nackt baden und/oder Burkini. Im öffentlichen Bad bilden sich also viele gesellschaftliche Themen ab. Bei unseren Stadtprojekten arbeiten wir intensiv mit lokalen Initiativen zusammen. Das heißt, wir sind im Vorfeld in der Stadt unterwegs und versuchen, möglichst viele Leute kennenzulernen. Wir waren also in den Schwimmbädern in Mülheim, haben Wasserreinigungsbetriebe besucht, haben Kontakt zu Ruder- und Schwimmklubs aufgenommen – oder auch einem Club für Unterwasser-Rugby, das übrigens in Mülheim erfunden wurde. Und diese Initiativen haben wir mit Künstler:innen zusammengebracht. Ziel der Projekts ist es, neben künstlerischen Arbeiten auch mithilfe von Talk-Formaten an der Utopie eines gemeinsamen Bades zu arbeiten: Ein solcher Ort könnte unsere Pommesbude sein, denn auf den Freibad-Snack können sich alle einigen, Pommes sind vegan, halal, koscher, gluten- und laktosefrei.
Impulse Theater Festival 2024 | 29.5. - 9.6. | Köln, Düsseldorf, Mülheim a. d. Ruhr | 0202 69 82 72 06
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