In einem Park in der Nähe des Ebertplatzes mitten im Villenviertel hängt ein verloren wirkendes Schild. Die Aufschrift: „Sex Drive: Hier sind Sie richtig!“ Beklemmt starren ein paar Menschen auf den Hinweis, sich nervös umdrehend, ob sie nicht beobachtet werden. Sie schweigen lieber, denn wer spricht schon gerne über käuflichen Sex? Ein älterer Herr bleibt irritiert stehen. Hingelotst wurden die Gäste via geheimnisvoller SMS. Wer sie abholt, ist unklar. Dann fährt ein Mercedes-Cabriolet vor. Verhalten laufen die Besucher auf jenes zu und verschwinden. Man könnte meinen, sie gingen zu einem Sex-im-Auto-Date mit einer Prostituierten. Und das ist auch nur knapp daneben. Denn hier rund um den Ebertplatz war tatsächlich einst eine Straßenstrich-Szene, bis sie verdrängt und um die Jahrtausendwende als Sperrgebiet erklärt wurde. Dann setzt avantgardistische Pop-Musik ein und ein Video beginnt, während die Fahrerin, von der niemand weiß, wer sie ist, ihre „Kunden“ kommentarlos durch die verschiedenen Straßen rund um den Ebertplatz, Eigelstein und den Hauptbahnhof bugsiert.
Regisseurin Natalie Ananda Assmann und Musikerin Rana Farahani folgen bei dem Projekt „Sex Drive: Wem gehört die Straße?!“ den Spuren des Verdrängten und führen das Publikum zu lokalen Grenzgebieten, die es sonst nie sehen würde. Es folgen O-Töne von Prostituierten und Freiern. Wobei das Thema eher neutral behandelt und nicht zu sehr auf die Tränendrüse gedrückt wird. Der Strich am Eigelstein, der früher mitten auf der Straße stattfand, stieß nicht bei allen Anwohnern auf Zustimmung. Heute gibt es immer noch viel Rotlicht in diesem stark kriminalisierten Gebiet, aber es findet mehr hinter verschlossenen Türen in einem etwas privateren und „sicheren“ Raum statt. Polizeipräsenz gibt es hier zuhauf, wie der Zuschauer sehen kann. Er steckt im wahrsten Sinne des Wortes mittendrin, nicht ganz schlüssig, wie er sich verhalten soll. Und dann geht es auch schon mit viel Fahrtwind weiter.
Neben Ebertplatz und Eigelstein gibt es die umstrittene legale Prostitution in der Geestemünder Straße mitten im Industriegebiet. Ein von der Kölner Polizei beobachtetes Projekt, bei dem sich die Geister scheiden: Die offizielle Erlaubnis und der Polizeischutz sollen es sicherer für die dort arbeitenden Frauen machen, die Sex mit ihren Kunden in kontrollierten Boxen haben. Andererseits werden die Sexarbeiterinnen tatsächlich von den Freiern ausgesucht wie Hennen in der Legebatterie, lautet die Kritik anderen. Auch wenn wir bei dieser Fahrt dort nicht anhalten, wird der „Sex-in-the-Box“ thematisiert.
Nach einer dreißigminütigen Fahrt durch Rotlichtmilieus hält die Fahrerin, die bislang nicht viele Worte von sich gegeben hat, vor einer Villa. Niemand der Teilnehmer ist am Boden zerstört, aber es stehen viele Fragezeichen in ihre Gesichter geschrieben. Zum Beispiel: Wer ist eigentlich die mysteriöse Frau am Steuer? Es stellt sich heraus, dass Nicole Schulze selber Prostituierte ist, wie sie in einem anschließenden Gespräch erzählt. Jahrelang habe sie in Köln ihre Dienste angeboten. Nun lebe sie in Trier, wo sie in einem Campingwagen gelegentlich Sex gegen Geld anbiete, wie sie lachend berichtet. Schulze wirkt resolut und bodenständig. Hineingerutscht in das Milieu sei sie nach einer Trennung und aus finanziellen Gründen. Das horizontale Gewerbe schwarzmalen möchte sie nicht, schließlich gäbe es aus ihrer Sicht in jeder Branche gute und schlechte Seiten. Von Verbieten hält sie auch nichts – der Trieb nach Geschlechtsverkehr sei nun mal existent. Von Wegschauen auch nicht. Im Gegenteil: Wenn man alles ignoriere, würde es nur in den illegalen, unkontrollierten und noch kriminelleren Raum abwandern.
Seit es mehr Privatsphäre und Schutz gebe, fühle sie sich wie viele andere Frauen wesentlich besser. Das neue Prostitutionsgesetz mit Kondompflicht sowie gesundheitlicher und sozialpädagogischer Betreuung habe bereits einiges verbessert, aber natürlich gebe es noch immer Punkte, die verändert werden könnten, etwa das Eintrittsalter der Sexarbeiterinnen zu erhöhen. In Deutschland ist der Verkauf des eigenen Körpers tatsächlich ab 18 erlaubt. Viel zu jung, findet sie, um so eine Tätigkeit anzugehen. Etwas richtig Schlimmes hat Schulze angeblich noch nie in ihrer Sex-Karriere erlebt.
Nach dem offenen Gespräch mit einer echten Beteiligten on the road sind viele Fragezeichen in den Gesichtern der Teilnehmer verschwunden. Das Thema „Sex Drive“ scheint nicht mehr ganz so gespenstisch in der Magengrube herumzugeistern. Und niemand wurde gezwungen, es gut oder schlecht zu finden. Denn genau das ist das Ziel von „Angstraum Köln“: Dass Alltagsleben auf der Straße aus der grauen Tabuzone zu holen. Hinzuschauen, wo andere wegsehen. Einmal den Blick zu wechseln. Ohne zu urteilen.
Kostenlosen „Sex Drives“: 19. - 22.6.., je stündlich 14-18 Uhr, nahe Ebertplatz | Gespräch mit den Künstlerinnen und Expertinnen am 23.6. um 16 Uhr, Ebertplatz | www.impulsefestival.de
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