Die Welt scheint nach rechts zu rücken: In den USA und in Brasilien stürmten Anhänger von Donald Trump und Jair Bolsonaro Parlamentsgebäude, die AfD hat sich in Deutschland zur zweitstärksten Kraft nach der CDU entwickelt und in Italien regiert mit Giorgia Meloni eine Postfaschistin. Auch die Europawahl 2024 war zuletzt ein Triumph für den rechten Rand des EU-Parlaments. Währenddessen verroht in Deutschland das politische Klima: Angriffe auf Politiker:innen sind im Europawahlkampf zu einer traurigen Normalität geworden, extreme Rhetorik zu einem gängigen Mittel der Kommunikation. Sind die Menschen der Demokratie überdrüssig geworden?
Der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky verfolgt in seinem Buch „Was Populisten wollen“, das er am 26. Juni in der Königin-Luise-Schule vorstellt, eine andere These. „Um Demokratie geht es letztlich allen“, meint er. „Entweder ganz konkret, wenn sie beklagen, dass wir eigentlich in einer Diktatur leben, und direkte Partizipationsmöglichkeiten einfordern. Oder aber indirekt, wenn sie bemängeln, dass die Versprechen der Demokratie nicht eingelöst werden.“ Das Problem sei demnach weniger, dass Populisten das Konzept der Demokratie ablehnen würden, sondern vielmehr, dass sie ihre politischen Gegner als Feinde der Demokratie betrachten – gerade hierbei handle es sich nämlich um ein Kennzeichen des Populismus. Dass sich Parteien wie die AfD als Stimme des Volkes und der schweigenden Mehrheit inszenieren, geht also mit einer Aneignung des Demokratiebegriffs einher.
Eine parallele Entwicklung beobachtet Lewandowsky im US-amerikanischen Kulturkampf: „Die Angst vor den ‚Linken‘, vor den ‚Woken‘, vor dem Niedergang macht Parteien groß, die sich den Widerstand gegen die Eliten und die Beschwörung des ‚wahren Volkes‘ auf die Fahnen geschrieben haben: die Rechtspopulisten.“ Viele der Themen des Kulturkampfes sind nach Deutschland herübergeschwappt. Auch hierzulande geht es um eine Männlichkeit in der Krise, eine angebliche Indoktrinierung der Kinder durch LGBTQ-Ideologie und um „die da oben“, die sowieso nur lügen und betrügen – Populisten scheinen sich vor allem dieselbe Rhetorik zu teilen. Lewandowsky spricht sich jedoch dagegen aus, Populismus auf ein politisches Stilmittel zu reduzieren. Für ihn handelt es sich vielmehr um eine Strategie, ein eigenes Verständnis von Demokratie zu etablieren, die im Widerspruch zu liberalen Vorstellungen steht.
Marcel Lewandowsky – Was Populisten wollen | Mi 26.6. 19.30 Uhr | Aula der Königin-Luise-Schule | bittner-buch.de
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