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Sven Lehmann, Arndt Klocke, Claudia Börnemeier und Georg Roth vor der Filmpalette

Nicht länger unsichtbar

07. Juli 2019

„Before Stonewall“ in der Filmpalette – Foyer 07/19

Donnerstag, 4. Juli: Vom 4. bis 7. Juli finden in Köln zum 11. Mal die Kölner Kino Nächte statt, bei denen an 18 verschiedenen Spielstätten insgesamt 50 Filme zur Aufführung gelangen – häufig auch mit Gästen und spannenden Diskussionen im Anschluss. Parallel zur diesjährigen Eröffnungsveranstaltung im Kinosaal der Internationalen Filmschule Köln (ifs) mit dem Film „Kaviar“ lud der Grünen-Fraktionsvorsitzende Arndt Klocke in der Filmpalette am Eigelstein mal wieder zum „Grünen Kino“ ein. Dieses Mal stand, passend zum 50. Jahrestag der Aufstände an der New Yorker Stonewall-Bar und dem an diesem Wochenende in Köln stattfindenden Christopher Street Day, die Aufführung des Films „Before Stonewall“ von Greta Schiller aus dem Jahr 1984 auf dem Programm. In der Dokumentation wurden schwule und lesbische Zeitzeugen über ihren Alltag, die rechtliche Situation und die Formen des Kennenlernens in den Jahren vor den Aufständen im Jahr 1969 befragt. Anschaulich untermauert wurden die Interviewpassagen durch etliche Filmausschnitte und weitere dokumentarische Aufnahmen, die bis in die 1920er Jahre zurückreichten. Im Anschluss nutzte Arndt Klocke die Thesen des Films, um mit seinen Podiumsgästen über die Situation in Deutschland zu diskutieren und die Veränderungen, Fortschritte und Roll-Backs in der LSBTIQ*-Bewegung aufzuzeigen.

Sven Lehmann und Claudia Börnemeier beim Publikumsgespräch

Als Erster hatte Georg Roth das Wort, der für BISS (Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren) und RubiCon tätig ist, und in einer Zeit in Leverkusen aufwuchs, als „das Wort schwul noch unbekannt war“ und er seine Sexualität, auch aufgrund des noch geltenden, von den Nazis verschärften Paragrafen 175, nicht öffentlich machen konnte. Der zurückliegende Zweite Weltkrieg und der in seiner Jugend begonnene Vietnamkrieg hätten Roth stark geprägt, wegen des moralischen Verfalls der Gesellschaft hätte er von Anfang an keinen Respekt vor den Erwachsenen gehabt. Während seines Studiums an der Universität in Bielefeld, an der seinerzeit auch Detlef Stoffel als Aktivist für die Lesben- und Schwulenbewegung in Erscheinung getreten ist, habe Roth keine Lust mehr gehabt, sich zu verstecken, und sich erstmals selbst politisch engagiert. Beflügelt durch die Bürgerrechts- und Hippie-Bewegungen wäre es damals zu einem völligen Umbruch in der Sexualität gekommen. Georg Roth ergänzte allerdings: „Heute habe ich manchmal den Eindruck, wir sind in dieser Hinsicht wieder 40 Jahre zurück.“ Auch Sven Lehmann, Mitglied des Deutschen Bundestages für „Bündnis 90/Die Grünen“, stellte einen weltweiten Backlash in Sachen schwuler Emanzipation fest. „Vor 15 Jahren, als ich mich queer emanzipiert habe, wurde alles immer moderner. Der von mir erhoffte lineare Verlauf hin zu immer mehr Gleichstellung ist aber nicht erfolgt. Es formieren sich derzeit immer mehr rechte Gruppen, die gegen die Emanzipation von LSBTIQ*-Menschen vorgehen wollen“, so Lehmann.

Börnemeier und Georg Roth als Repräsentanten zweier Generationen

Als Repräsentantin der jüngeren Generation war die 23jährige Claudia Börnemeier vom Kölner Jugendzentrum anyway e.V. geladen. Sie konstatierte, dass in den letzten Jahren das politische Interesse junger Menschen in Deutschland deutlich zugenommen habe. Viele der Mitglieder im anyway seien nicht nur queerpolitisch aktiv, sondern solidarisierten sich auch mit Bewegungen wie „Fridays for Future“. Börnemeier sieht auch eine Veränderung in der Eigenwahrnehmung der nachwachsenden Generation: „Ganz junge Leute wollen sich nicht mehr einordnen. Sie brauchen keine Labels, weder für ihr Geschlecht, noch für ihre Sexualität. Das wird von vielen Älteren skeptisch betrachtet, aber gerade dieses Ausprobieren ist in jungen Jahren noch sehr viel wert.“ Georg Roth stimmt zu, dass diese Uneindeutigkeiten zu gewissen Verunsicherungen führten, aber durchaus auch einen Gewinn darstellten. „Da muss man auch als Älterer offenbleiben und an seinen eigenen Kampf zurückdenken, als man von der Gesellschaft akzeptiert werden wollte und eine Alternative zur Kategorie heterosexuell einforderte“, resümierte Roth. Zum Abschluss dankten sämtliche Redner Georg Roth und seiner Generation für deren Vorreiterrolle im Kampf um die Rechte für die queere Bevölkerung. Angesichts der Tatsache, dass die Aufstände am Stonewall Inn hauptsächlich von Drag Queens, Latinos und dunkelhäutigen Menschen angeführt worden waren, dürfe man auch innerhalb der LSBTIQ*-Szene nicht diskriminieren und sich gegenseitig diskreditieren, mahnte Sven Lehmann. Der Grünen-Politiker weiter: „Alles, was es in der Gesellschaft gibt, muss auch bei einer CSD-Demo transparent und sichtbar sein. Deswegen sollten bei der Parade auch Menschen in Lack und Leder, mit Tiermasken oder offen ausgelebter sexueller Extreme vertreten sein.“

Text/Fotos: Frank Brenner

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