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Daniel Schüßler
Foto: Dorothea Förtsch

„Wir wollen Rituale kreieren“

29. August 2024

Regisseur Daniel Schüßler über „Save the planet – kill yourself“ in Köln – Premiere 09/24

Zu seinem 20-jährigen Jubiläum bringt das Analog Theater eine Großproduktion auf die Bühne: „Save the planet – kill yourself“ befasst sich mit der Frage, wie der Planet Erde vor dem ausbeuterischen Zugriff der Menschen gerettet werden kann. Ein Gespräch mit Regisseur Daniel Schüßler.

choices: Daniel, 20 Jahre Analog Theater – wie siehst du eure Entwicklung, wenn du zurückschaust?

Daniel Schüssler: Die Gründung von Analog war letztlich folgerichtig, als ich mich entschlossen habe, Regie zu führen. Im Stadttheater hätten wir die Möglichkeit zur kollektiven Arbeitsweise mit unterschiedlichen Künstler:innen und deren Expertise so nicht gehabt. Wir können Experimente machen, die uns interessieren und bleiben nicht in bestimmten Mustern stecken. Auf der anderen Seite überrascht es mich, dass es uns noch gibt. 

Warum?

Wir steuern auf Zeiten extremer Kürzungen zu. Im Moment spüren wir die Kürzungen noch nicht, aber man hat auch nach 20 Jahren keine Sicherheit. So sind wir beispielsweise vor drei Jahren überraschend mit vier anderen Kölner Gruppen, die es ähnlich lang gibt, aus der Konzeptionsförderung des Landes rausgeflogen. Das war ein enormer Rückschritt für die Planungssicherheit. Wir hatten Glück, dass wir die ausbleibenden Summen über Bundesmittel beim Fonds Darstellende Künste auffangen konnten. Jetzt wird auch deren Budget nach derzeitigen Planungen um ca. 50 Prozent gekürzt. In Zeiten von Haushaltskürzungen geht die Förderquote noch mal runter für alle Freien Gruppen. Das macht uns schon Sorgen. Produktionen in der Größenordnung, wie wir sie die letzten Jahre gemacht haben, wären dann nicht mehr möglich. Als eine in Köln erfolgreiche Gruppe, die über viele Jahre auf einem gewissen Niveau arbeitet, würden wir uns schon eine Verstetigung der Förderung wünschen – nicht nur als finanzielle Sicherheit, sondern auch als Respekt für die über die Jahre geleistete Arbeit. 

Ist eure neue Produktion „Save the planet – kill yourself“ so etwas wie eine Jubiläumsproduktion mit einem besonderen Anspruch? 

„Save the planet …“ ist eine sehr große, eine besondere Produktion, weil wir erstmals experimentelles Musiktheater machen. Musik hat immer eine große Rolle in unseren Produktionen gespielt. Aber bei „Save the planet …“ haben einen achtköpfigen semiprofessionellen Chor von Menschen verschiedenen Alters dabei, der die Produktion gesanglich, sprachlich und performativ unterstützen und als Multiplikator für das Publikum dienen soll. Die Produktion ist als immersives, begehbares Raumtheater konzipiert, es stehen insgesamt bis zu 16 Leuten auf der Bühne. Das ist für uns schon eine große Nummer. Und wir haben uns neben unserem Komponisten Ben Lauber noch den Soundtüftler Alfredo Adria dazu geholt, der Field Recordings (Aufnahmen nicht selbst produzierter Geräusche, Anm. d. Red.) macht und verrückte Instrumente bastelt.

Was heißt experimentelles Musiktheater? 

Wir experimentieren mit Musik, die zwischen klassischem Gesang, einer schrägen Hip-Hop-Nummer oder Neuer Musik wechselt. Eine Inspiration für uns war die amerikanische Komponistin und Vokalartistin Meredith Monk, die auch immer wieder mit Chören gearbeitet hat. Eine andere Inspiration war Chris Korda, eine Künstlerin und Gender-Aktivistin aus den USA, die die Church of Euthanasia gegründet hat. Eine provokative Kirche, die dafür wirbt, dass die Menschheit sich aus der Welt nimmt, um so den Klimawandel zu stoppen.

Wer ist Chris Korda?

Chris Korda ist eine queere Aktivist:in in den USA und lebt inzwischen in Berlin. Als Godmother of Self Extinction (übers.: Patin der Selbstauslöschung) vertritt sie mit Slogans wie „Thank you for not breeding“ (übers.: „Danke, dass Sie nicht geboren haben“) oder „How to join a suicide cult“ (übers.: „Wie man einer Selbstmordsekte beitritt“) die These, dass wir uns wegen des Klimawandels nicht weiter fortpflanzen sollen. Seit den 1990er-Jahren hat sie spielerisch und provokativ mit Aktionen und Performances auf Weltwirtschafts- oder Klimagipfeln den Slogan „Save the Planet Kill Yourself“ (übers.: „Rette den Planeten, töte dich selbst“) verbreitet, hat zum Beispiel Aktionen auf der Themse gemacht oder als Riesenpenis verkleidet auf Anti-Abtreibungs-Demos Leute mit Kunstschaum vollgespritzt. Mit ihrem Versuch, aktionistisch in die Gesellschaft hineinzuwirken, erinnert sie ein wenig an Christoph Schlingensief. Ich kann ihr nicht in allen Aktionen folgen, aber ihre Gedanken konsequent zu durchdenken, das fand ich auf jeden Fall spannend. Eine zweite Anregung haben wir von dem Schweizer Autor Charles Ferdinand Ramuz aufgenommen. Er hat in seinem Roman „Sturz in die Sonne“ von 1929 beschrieben, wie die Erde aus ihrer Umlaufbahn katapultiert wird und auf die Sonne zustürzt. Dadurch wird es immer heißer auf der Erde. Das ist sehr modern und nimmt als Katastrophenroman eigentlich schon den Klimawandel vorweg. Wir erzählen den Roman nicht nach, sondern nutzen ihn mehr als Inspiration.

Wie bringt ihr das auf die Bühne?

Es wird ein Abend, der sich sehr stark mit Ritualen auseinandersetzt. Der Abend zielt auf das Immersive ab, spielt mit Stimmungen, mit Liedern, die man mitsingen kann, mit der Emphase des Publikums. Der Titel „Kirche der Selbstauslöschung“ sagt es schon, wir wollen Rituale wie andere Religionsgemeinschaften kreieren, um vom Kognitiven wegzukommen. Ziel ist, dass wir Menschen am Ende des Abends oder aller Abende von uns absehen und uns nicht mehr als die Krone der Schöpfung sehen. Uns also letztlich nicht mehr so wichtig nehmen. Ob am Ende dann ein Selbstmord steht oder eher ein rituelles Ablösen des Menschlichen von sich selbst, indem wir uns nicht mehr fortpflanzen, das werden wir sehen. Vielleicht werden wir die Leute auffordern, doch endlich Schluss zu machen. Aber es ist natürlich nicht so ernst gemeint. Ich denke mal, der Titel ist genug Triggerwarnung, dass die Leute wissen, worum es geht.

Das heißt letztlich, dass alle Möglichkeiten, den Klimawandel zu stoppen, ausgeschöpft sind und wir daraus die Konsequenz ziehen sollten?

Wenn man sich die letzten 100 Jahre anguckt, also seitdem wir vom Klimawandel wissen, ist nicht viel passiert. Und die Hoffnung, dass noch etwas passieren wird, ist auch nicht groß. Es gibt immer wieder Menschen, die sich in Gruppen engagieren und Einzelaktivitäten starten. Aber den großen Wandel sehe ich nicht. Wir spielen also diese Idee des Antinatalismus durch, der besagt, dass man sich nicht mehr fortpflanzen soll. Das ist schon Thema in einigen alten Kirchenlehren, aber auch ein Philosoph wie Schopenhauer hat sich damit beschäftigt. Bezugspunkt ist dabei das Leiden, angesichts dessen es besser wäre, nicht geboren zu werden. Und wir spinnen diesen Gedanken weiter bis zur Kirche der Selbstauslöschung und überlegen, ob es nicht der richtige Schritt wäre, dass die Menschheit sich komplett – auf welche Art auch immer – auslöscht.

Können wir Menschen überhaupt verzichten oder ist Verzicht letztlich auch nur eine modische Attitüde?

Wir sind eine invasive Spezies, die sich ausbreitet. Das ist in unserem Kern wahrscheinlich angelegt. Sonst hätte sich die Welt ja schon verändert. Wenn man sich die Nachrichten anschaut, dann kann man sich dem Eindruck angesichts der Kriege, Zerstörungen, all des Irrsinns, nicht erwehren, dass wir nichts gelernt haben und dass wir möglicherweise auf Zerstörung programmiert sind. Im Privaten oder am Nullpunkt der Krise sind wir immer bereit, Änderung vorzunehmen. Doch sobald wir uns ein bisschen aus dem Loch herausgegraben haben, fängt unser Geist schon wieder an, die Ansprüche zu nivellieren. Wir schieben die Schuld auf die Umstände und begreifen uns selbst aber nicht als Teil des Problems. Wir fühlen uns nicht mit dem großen Ganzen verbunden. 

Aber haben wir nicht einen anderen Anteil am Klimawandel als beispielsweise andere Nationen?

Was wir erzählen, entspringt einem absolut westlichen Diskurs. Andere Menschen in anderen Weltteilen haben mit dem Klimawandel eigentlich kaum etwas zu tun. Sie haben das Recht, da zu sein, weil sie viel weniger Ressourcen verbrauchen und vielleicht sogar autark leben. Wir hier sind total angeheizt durch den Kapitalismus und seinen Ressourcenverbrauch. Es wäre aber etwas langweilig, nur in Brecht-Manier auf die Bühne zu gehen und auf den Kapitalismus und die Klimakrise hinzuweisen.

Save the planet – kill yourself | P: Analog Theater / Studiobühne | TanzFaktur im Technologiepark | 11. - 15.9. | 0221 470 45 13 (Studiobühne)

Interview: Christoph Zimmermann

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