Quadrat, Rechteck, Kreis: Die Raumstrukturen sind durch Licht auf dem Boden der Werkhalle in der TanzFaktur definiert. In diesen wenigen Formen entwickelt die Gruppe Overhead Project in ihrem so kurzen wie kurzweiligen Abend „What is left?“ (Regie: Tim Behren) ein verblüffend vielgestaltiges Kompendium an psychoräumlichen Verhältnissen.
Vereinzelung im zellenartigen Quadrat gibt es nur zu Beginn, wenn Mijin Kim ihren Körper ins Lauschen verbiegt und ihren Pferdeschwanz wie eine Peitsche einsetzt. Doch schnell wird daraus – begleitet von pulsierenden Sounds (Musik: Simon Bauer) – ein Duo mit Maria Madeira. Die beiden bewegen sich hinterrücks Kopf an Kopf durch den Raum, fassen sich gegenseitig am Nacken und beginnen zu kreiseln. Der zwischenmenschliche Kontakt mag eine Auflösung des solitären Beginns darstellen, doch die Griffe in den Nacken tragen auch Züge von Aggression und Bevormundung. Dann mischen sich Leon Börgens, Maiol Pruna Soler und Francesco Germini ins Spiel. Damit wird das Stehen auf der Schulter des Partners und der Partnerin zur (etwas zu) beherrschenden physischen Figur. Da wird wie bei einer Parade defiliert, triumphal den Träger beherrscht; die Getragenen kippen aber auch in die Schräge oder der Träger holt seine menschliche Last herunter und presst sie hart zu Boden. Es ist ein ständiges Wechselspiel zwischen Repräsentation, Triumph, Dominanz und Unterwerfung.
Räume nehmen Einfluss nicht nur auf unsere Bewegungen, sondern auf unsere Gefühle, unsere Wahrnehmung oder unsere soziale Interaktion. Wie sie das tun, erkundet die Psychogeografie. Dadurch, dass das Overhead Project ausschließlich mit geometrischen Grundformen arbeitet, die über Licht definiert werden, geraten in „What is left?“ allerdings Bewegung und Raum ins Gespräch. So wie der Raum die Bewegung begrenzt und ausrichtet, so definiert die Bewegung auch den Raum. So kommt der manegenartige Kreislauf der Truppe zunächst wie ein Kinderspiel daher. Da wir gespurtet, ausgeschert, eingefädelt – man sieht die Freude, die Lust am kindlichen Nachlaufen, man sieht gleichzeitig aber auch den Zwang, der an Zirkus, an Wettstreit oder an Gefangenschaft denken lässt.
Noch deutlicher werden diese Zwänge dann bei einem Catwalk, der allerdings eine groteske Form angenommen hat. So locker die vermeintlichen Models in einem hellen Rechteck entlang paradieren und ins Publikum strahlen, ein beschwingter Walk will ihnen nicht gelingen. An jeder und jedem von ihnen hängt noch ein sich anklammerndes Körperbündel dran: Mal kopfüber, mal auf dem Rücken – ein absurdes Spiel zwischen Posing, Schutz suchen und Voyeurismus. Am Ende ist dann Schluss mit Individualisierung – das Quintett formiert sich zu einem gewaltigen Menschenklumpen. Man kriecht aneinander hoch, die Gesichter sind einander zugewandt, das Außen wird ausgeschlossen. Ein sich formierendes Kraftpaket, vielleicht auch ein Streit um das Ranking in der Gruppe oder die ultimative Verdichtung körperlicher Präsenz – die Figur lässt viele Deutungen zu. Ein hochinteressanter Abend, der Raum, Bewegung und Psychologie mächtig ins Changieren bringt.
What is left | 17., 18.11. | Overhead Project | overhead-project.de
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