Im Jahr 1808 noch als Lustspiel tituliert, sollte der wahre Charakter von Heinrich von Kleists (1777-1811) bekanntestem Drama mittlerweile so offensichtlich zu Tage treten wie ein Scherbenmeer, das an seinen Kanten frisches Blut trägt. In „Der zerbrochene Krug“ wird Eve vom Dorfrichter Adam vergewaltigt. Unter dem Versprechen, ihren Verlobten Ruprecht vom Militärdienst und somit vom drohenden Kriegseinzug zu befreien, gewinnt Adam zunächst das Vertrauen der jungen Frau und verschafft sich schließlich unter falschen Angaben Zugang zu deren Kammer. Im Zuge der Selbstverteidigung des Mädchens geht ein Gefäß zu Bruch. Mehrere Zeugen hören den Tumult und beobachten die Flucht eines Mannes durchs Fenster, der fälschlicherweise für Ruprecht gehalten wird. Erst im Zuge einer Klage um das beschädigte Beweisstück kommt die Wahrheit ans Licht. Bis dahin wird das Opfer von der Gesellschaft als Metze, also Hure, bezeichnet.
Was macht Christa Nachs aus Kleists realistischem Plot? Vor allem lässt die Regisseurin keinen Zweifel an dem Verbrechen, das der Story zugrunde liegt. Ohne Ablenkungen, etwa durch opulente Bühnenbilder, Verkleidungsorgien oder KI setzt Nachs auf die bare Ausdruckskraft ihres Ensembles um Leonie Gareis (Eve, Frau Gerichtsrat Walter), Egmont Stawinoga (Dorfrichter Adam), Verena Leenders (Marthe Rull, Frau Brigitte, Magd) sowie Pascal Scurk (Ruprecht, Schreiber Licht), die sich über weite Strecken sprachlich an Kleists Manuskript halten. Das dabei mitunter Lacher entstehen, zeugt jedoch eher von der Unsicherheit der Zuschauer:innen, die wie in einem Gerichtssaal das Auf- und Abtreten der Protagonisten beobachten. Auf der Anklagebank sitzt dabei zunächst die falsche Person. Doch auch mit deren Freispruch bleibt die Gerechtigkeit auf der Strecke. Eves Bitten, Flehen und ihre Schmerzensschreie in Anbetracht einer weiteren Vergewaltigung während der Prozesspause hallen als Manifestation des Leides unzähliger Betroffener durch Ämter, Heime, Schulen, Kinderzimmer oder Gotteshäuser. Im Jahr 2025 ist die Gesellschaft immer noch überwiegend patriarchalisch geprägt, kommt es täglich zu subtil-psychischer wie brachial- körperlicher Gewalt gegen Frauen, gehen die Täter nicht selten ungestraft aus, endet das bisschen Menschsein als Scherbe.
Der zerbrochene Krug | 21.3., 28.3., 4.4. 19 Uhr, 7.4. 18 Uhr | Horizont Theater | 0221 13 16 04
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