Woher nur dieses Zischen in den labyrinthartigen Gängen des unterirdischen Heims? Dieses mitunter kaum hörbare, aber körperausfüllende Geräusch. Ein Störenfried der Ruhe, ja, ein Feind des Friedens, der gnadenlos bis zum Tod aller Beteiligten bekämpft werden muss. In seiner 105-minütigen Inszenierung hetzt Regisseur Zafer Tursun das Wesen aus Franz Kafkas Parabel „Der Bau“ durch ebendiesen. Getrieben vom Willen zur optimalen Absicherung seines Domizils und der Autonomie als einzig wahre Lebensform verfängt sich der Bewohner, die Bewohnerin (Mehrfachbesetzung mit Chaymae M’Stfa, Thomas Brandt, Lamyae M’Stfa) in den Ausläufern seiner Paranoia.
Obgleich der Stille als ultimativem Klang zugewandt, stürzt Tursun sein Ensemble sowie das Publikum stets ohne Vorwarnung in die Erdkammern und -hallen eines psychotischen Gemetzels gegen die eigenen Geister. Hier umarmt sich eine unfassbare Panik mit strengem chirurgisch-architektonischem Kalkül zu Konfliktlösungen, die ebenso eine Auslöschung des Ichs wie die des imaginären Gegners zelebrieren. Einem Gebet gleich beschwört das nervöse Geschöpf den Sinn aller Geschehnisse als vorherbestimmte Schicksalsfügung, ohne jedoch daran zu glauben. Die fragmentarische Erzählung aus den Jahren 1923/24 wird in der ersten Aufführung am Theater der Keller der neuen Spielzeit auf spartanischer Bühne dargeboten, mit einem regelmäßig in sich zusammenfallenden Schutzwall, kleinen Spiegeln, melancholischen Melodieschleifen am Piano und dezenter Beleuchtung.
Den Sprung aus der Lektüre wagt die zu gelegentlicher Romantik neigende Figur als Tänzer:in und Sänger:in im Reigen der Töne von „Army Dreamers“ – einem Antikriegslied von Kate Bush – sowie weiterer Songs. Ausdrucksstark in den Windungen eines vor Glückseligkeit über sein Schaffen und seine Existenz verzweifelten Individuums ergibt sich das Kollektiv einem strapaziösen Langstreckenlauf ohne Zielgerade. Erholungsphasen im Schlaf sind passé. Das Zischen im Dunkeln zerfurcht beständig den Verstand und vor allem die Lunge, um sich einem schweigenden Firmament zu öffnen. Der Eingang zum Bau will gefunden, will durchschritten werden. Dahinter wachen Untergang und Verherrlichung als Akt der Unbarmherzigkeit.
Der Bau | 29.8., 12., 13.9., 4., 5., 12.10. je 20 Uhr | Theater der Keller, Köln | 0221 31 80 59
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