Anfang Dezember findet die Klimakonferenz in Paris statt. Wieder einmal werden sich die Staaten um ein neues Klimaschutzabkommen streiten und zu einem wachsweichen Kompromiss finden. Vielleicht hätte man das Treffen gleich an den Aralsee in Kasachstan und Usbekistan verlagern sollen. In der bis heute andauernden, größten von Menschen verursachten Umweltkatastrophe hat der See innerhalb von 50 Jahren 90 Prozent seines Wasservolumens verloren und trocknet weiter aus. „Der See“ heißt auch das neue Theaterstück der Gruppe Theater 1000 Hertz um Regisseurin Christina Vaihinger. Sie gibt in dem Monolog dem zunehmend versalzenden Gewässer eine Stimme. In einem weit ausschwingenden Monolog, gespielt von Sunga Weineck, verwebt sich die Geschichte des Sees mit der Biografie von fünf Frauen.
Völlig anderes dagegen gestaltet sich das Verhältnis zwischen Natur und Mensch in Lars von Triers Film „Antichrist“, den Jürgen Clemens im Horizont Theater auf die Bühne bringt. Während ein Paar im Badezimmer leidenschaftlichen Sex hat, stürzt ihr Sohn aus dem Fenster. Die Frau verfällt in tiefe Verzweiflung, ihr Mann, ein Psychologe, versucht ihr zu helfen und zieht sich mit ihr in eine einsame Waldhütte zurück. Die Begegnung mit der Natur, vor allem Tieren wie Reh, Fuchs oder Krähe verschränkt sich mit einer Sex- und Gewalt-Orgie, bei der sich die beiden Ehepartner bis aufs Blut bekämpfen. Triers 2009 uraufgeführter Film taugte wie so oft bei dem dänischen Regisseur zu einem Skandal, dessen unverblümte Darstellung, dessen Frauenfeindlichkeit die Gemüter heftig erhitzt hat.
Der Herbst ist die Zeit, in der die drei Theater der Rheinschiene: Theater im Ballsaal Bonn, Studiobühne Köln und das Forum Freies Theater in Düsseldorf sich zu ihrem West Off-Festival zusammentun. Was als Austausch von Produktionen begann, hat sich inzwischen zu einer Produktionsplattform ausgeweitet. Aus Bonn nach Köln kommt dabei „Moby Dick“ vom fringe ensemble, das Herman Melvilles Geschichte um den Zweikampf zwischen Kapitän Ahab und dem weißen Wal auf die Bühne bringt (choices 6/15). Aus der NRW-Landeshauptstadt wiederum kommt die „Dance Box“ vonTümay Kilinçel & Jungyun Bae. Ein Wohnwagen steht als begehbare Jukebox mitten in der Stadt. Wer Geld einwirft, kann sich einen Tanz auswählen, der dann ganz intim nur für einen einzelnen Besucher aufgeführt wird. Aber was heißt schon intim, wenn das Geschehen gleichzeitig nach außen übertragen wird? Gleichzeitig zeigen die drei veranstaltenden Bühnen in Köln jeweils eine Produktion eines jungen Ensembles, die im Rahmen des Festivals entstanden ist. Das Theater im Ballsaal hat die Gruppe A Barrel of Monkeys mit ihrer Nouveau-Cirque-Produktion „Feeding Fears“ eingeladen; die Progonauten aus Düsseldorf reisen mit ihrem Stück „Regere“ an. „Stellen Sie sich vor, wir wären in Bern“ lautet schließlich der Titel der Gruppe Sächsische Schweiz, den sie zusammen mit der Studiobühne produziert hat.
„Der See“ | R: Christina Vaihinger | Theater 1000 Hertz/Orangerie | 22.(P), 23.-25.10. 20 Uhr | 0228 952 27 08
„Antichrist“ | R: Jürgen Clemens | Horizont Theater | 20.(P), 28.10. 20 Uhr | 0221 13 16 04
West Off 2015 | Studiobühne Köln | 9.-13. u. 20.-24.10. je 20 Uhr | 0221 470 4513
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