Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gilt Deutschland eigentlich nicht als prüde. Doch wenn es um die Aufklärung der eigenen Kinder geht, werden viele Eltern auf einmal ebenso nervös wie vor rund 130 Jahren. In seinem gesellschaftskritisch-satirischen Drama „Frühlings Erwachen“ von 1891 erzählt Franz Wedekind die Geschichte mehrerer Jugendlicher, deren sexuelle Neugier auf die Tabuisierung und der Intoleranz der Erwachsenen trifft. Der Text, der noch 2009 in Zürich zur Anklage eines Lehrers wegen angeblicher Weitergabe pornografischen Materials führte (er hatte Wedekinds Drama im Unterricht besprochen), gewann als Musical-Fassung mit alter Handlung und modernen Songs am Broadway neue Popularität und u.a. acht Tony Awards. Jetzt bringt das Junge Theater Bonn diese Version in Kooperation mit dem Theater Bonn auf die Bühne – und stemmt damit die wohl größte Produktion des Hauses.
Im Mittelpunkt von „Spring Awakening“ stehen der rebellische Melchior und seine Freunde, die alle auf ihre Weise mit den emotionalen und hormonellen Stürmen der Pubertät zu kämpfen haben. Erregende Fantasien und die ersten sexuellen Erfahrungen (inkl. einer homoerotischen Szene) treffen auf Missbrauch, Abtreibung und Suizid. Kein leichter Stoff, erst recht nicht für ein Ensemble, das mit 16- bis 22-Jährigen besetzt ist. „Das stimmt, aber man muss die Jugendlichen auch ernst nehmen“, betont Regisseur Bernard Niemeyer, der in der Vergangenheit viele Klassiker am Jungen Theater inszeniert hat und kürzlich mit „Hairspray“ am Theater Bonn einen großen Erfolg feierte. „Heute beginnt die Aufklärung ja schon ganz vorsichtig in der Grundschule und wird dann nach und nach konkreter – in vielen anderen Ländern ist die Tabuisierung noch viel stärker ausgeprägt. Trotzdem tun sich ausgerechnet Eltern immer noch schwer damit, mit ihren Kindern über Sexualität zu sprechen. Das hat schon Wedekind kritisiert.“ Und bei den Proben lief das besser? „Zumindest gab es einige sehr offene Gespräche“, so Niemeyer. „Natürlich ist es immer ein Drahtseilakt, solche Stoffe zu erarbeiten, aber das gesamte Ensemble hat sich als unglaublich diszipliniert erwiesen. Das ist auch gut so, denn letztlich sind es die Jugendlichen, die den ganzen Abend wuppen, die tanzen, singen, spielen und nebenher noch die Bühne umbauen. Das ist schon eine Wahnsinnsleistung.“
Spring Awakening | 25. (P), 26., 27.4., 16., 17., 18.5., 13.6. | Junges Theater Bonn | www.jt-bonn.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Theater als Grundrecht für Kinder und Jugendliche
Diskussion am JTB am Welttag des Kinder- und Jugendtheaters – Bühne 03/21
Streamchen statt Bützchen
„Michel aus Lönneberga“ am Junges Theater Bonn – Bühne 02/21
Zwei Jungs verändern ihre Welt
50 Jahre Junges Theater Bonn – Bühne 09/19
Unendliche Geschichten
Mittelalter und Phantásien im Jungen Theater Bonn – das Besondere 02/18
Zwischen den Fronten
„Making the Story“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 04/25
Der Übermann
„Boys don‘t cry“ in der TanzFaktur – Theater am Rhein 04/25
„Wir suchen Orte der Wut und Traurigkeit auf“
Dana Khamis und Judith Niggehoff vom Jugendclub Polylux über „Trauer//Fall“ am Schauspiel Köln – Premiere 04/25
Die Grenzen des Theaters
„Was ihr wollt“ am Schauspiel Köln – Theater am Rhein 04/25
Die Zukunft lauert im Egoisten
„Der ewige Spiesser“ am Theater der Keller – Auftritt 04/25
Freiheit oder Ausgrenzung?
„Draußen“ im Jugendpark Köln-Mülheim – Prolog 03/25
Im Schatten der Diktatur
„Jugend ohne Gott“ am Comedia Theater – Theater am Rhein 03/25
Der Mensch als Scherbe
„Der zerbrochene Krug“ am Horizont Theater – Theater am Rhein 03/25
Spiegelbild der Wutbürger
„Kohlhaas (Can‘t Get No Satisfaction)“ am Schauspiel Bad Godesberg – Auftritt 03/25
„Ich erwische mich dabei, Stofftaschentücher zu bügeln“
Regisseur Sebastian Kreyer und Schauspieler Daniel Breitfelder über „Der ewige Spiesser“ am TdK – Premiere 03/25
Fixer im Dienst der Wahrheit
„Making the Story“ am Schauspiel Köln – Prolog 03/25
Totale Berührung
„Do not touch!“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 03/25
De Rach vun der Fleddermus
„De Kölsche Fledermaus“ an der Oper Köln – Theater am Rhein 02/25
Skurrile Denkanstöße
„Der Tatortreiniger“ am Bonner Contra-Kreis-Theater – Prolog 02/25
Das Ende der Herrlichkeit
„Der Fall Ransohoff “ am Orangerie Theater – Theater am Rhein 02/25
„Es geht einzig und allein um Macht“
Regisseur Volker Lippmann über „Fräulein Julie“ am Theater Tiefrot – Premiere 02/25
Ein Massengrab für die Hoffnung
„Aus dem Schatten: Thiaroye“ von Alexandra Badea am Schauspiel Köln – Auftritt 02/25
Überladenes Gezwitscher
Elfriede Jelineks „Am Königsweg“ und „Endsieg“ in Bonn – Theater am Rhein 02/25
Lebensgeschichten für Leerstellen
„Vatermal“ am Schauspiel Köln – Prolog 01/25
„Es geht schlichtweg um alles“
Regisseur Marcus Krone und Schauspielerin Kristina Geßner über „Am höchsten Punkt“ in der Orangerie – Premiere 01/25
Endsieg für Ödipus
Elfriede Jelineks „Am Königsweg / Endsieg“ in Bonn – Prolog 01/25