Wer kennt ihn nicht – Michel aus Lönneberga, der ulkige Strolch, der stets in seltsame Situationen gerät und damit die ganze Welt amüsiert. Aus dem gleichnamigen Kultbuch der bekanntesten, 2002 in Stockholm verstorbenen, schwedischen Kinderbuch-Autorin Astrid Lindgren.
Statt Bützchen und seit einem Jahr ohne echtes Schauspiel brachte das Junge Theater Bonn unter der Regie von Bernard Niemeyer die Geschichte von Michel (Lukas David Maurer) und seiner Schwester Klein-Ida (Olja Artes) aus dem schwedischen Dorf Lönneberga am Sonntag und Rosenmontag auf die Internet-Bühne. Lustig mutet an, dass Schauspieler Lukas David Maurer ebenfalls an einem Rosenmontag in Köln geboren wurde (1995).
Sinn für Gerechtigkeit
Das Stück jedoch ist nicht in der 11. Jahres-, sondern in der Weihnachtszeit angesiedelt. Michel, der die Autorin an ihren eigenen Vater erinnerte, sieht dabei aus wie ein braver Engel, ärgert aber stets seine genervten Eltern Alma (Andrea Brunetti) und Anton (Jan Herrmann). Dabei meint er es nicht böse. Im Gegenteil: Der Lümmel hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, gibt er doch etwa den Armen von seinem Essen ab. Schließlich habe seine Verwandtschaft sowieso zu viel auf den Rippen, wie Michel frech behauptet.Der Lausbub möchte für die Mittellosen im tristen Armenhaus sogar eine Feier werfen. Nicht selten haben die Erzählungen von Lindgren einen sozialkritischen Aspekt – sie bekam mitunter den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für ihre gewaltfreie Literatur verliehen (1978).
Im Folgenden poltert unter anderem die Würstchendiebin und Kommandeurin Unken-Ulla (Sandra Kernenbach) beim Versuch, jene zu stibitzen, mit einem Knall in in eine von Michel gebastelte Wolfsgrube.Als Michel seinen Eltern gesteht, dass er das Festtagsessen den Hungrigen geschenkt habe und sie nun leer ausgehen, zeigen sie sich nicht begeistert.
Besonders seltsam vor dem Hintergrund der Krise erscheint die bekannte Szene, in der der Spitzbub in einer Suppenschüssel feststeckt. Beinahe symbolisch, stecken doch Kultur und Theater seit fast einem Jahr in der Klemme. Auch das JTB litt unter der Krise. Fast ein wenig traurig mutet es an, dass es ausgerechnet für Kinder, die in Lindgrens Romanen immer im Mittelpunkt standen, in der Pandemie oft heißt: drin bleiben und die Freunde nicht sehen. Und das, obwohl die Schriftstellerin die kleinen Leute stets dazu aufmunterte, angstfrei und kritisch zu sein.
Streichemacher als Held gefeiert
So sehr Michels Familie versucht, ihn aus der teuren Schale zu befreien, ohne, dass sie zerspringt, es gelingt einfach nicht. Fast scheint es, als ginge es in der Erwachsenenwelt nur um das leidige Geld. Schließlich ist es Michel selber, der sie zerbricht, als er versehentlich mit seinem schusseligen Schüssel-Kopf tollpatschig aneckt. Die Folge: Es hagelt Online-Michel-Scherben.Das Gefäß wird geklebt, nur damit der Junge wieder in in ihm versinkt. Am Ende wird der Streichemacher jedoch als Held gefeiert. Sowohl die Vorlage als auch die Bühnenfassung lassen fantasievolle Kinder über Erwachsene im Sparmodus gewinnen.
Dem Jungen Theater Bonn ist es gelungen, mit Humor und Feingefühl Kinder, die derzeit nicht so viel zu Lachen haben, scheppernd zu unterhalten. Trotzdem bleibt zu hoffen, dass gerade für junge Menschen und für die Bühnen dieser Welt sich die Situation verbessert.
Am JTB warten derweil weitere, spannende Streaming-Stücke für kleine und große Theaterfreunde, darunter „TKKG“ und „Ronja Räubertochter“ – ebenfalls von Astrid Lindgren.Demnächst werden noch Termine erwartet fürdas „Dschungelbuch“-Musical, „Das Sams - eine Woche voller Samstage“ sowie das auf dem bekannten Buch „Der gelbe Vogel“ von Myron Levoy basierende Stück „Geheime Freunde“ von Moritz Seibert über eine sehr besondere Freundschaft, die von der Vergangenheit eingeholt wird und bereits seit zehn Jahren mit unterschiedlichen Schauspielern über die Bühne des JTB wandert.
Michel aus Lönneberga | ab 5 Jahren | R: Bernard Niemeyer | 18., 25.2. je 10 Uhr, 20., 28.2. je 15 Uhr | Junges Theater Bonn | www.jt-bonn.de
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