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Volker Lippmann
Foto: Theater Tiefrot

„Es geht einzig und allein um Macht“

03. Februar 2025

Regisseur Volker Lippmann über „Fräulein Julie“ am Theater Tiefrot – Premiere 02/25

Im Interview spricht Volker Lippmann über seine Inszenierung von August Strindbergs meistgespieltem Stück und die Einstellung des schwedischen Autors gegenüber Frauen.

choices: Herr Lippmann, welches moderne Synonym fällt Ihnen für „Fräulein“ ein?

Volker Lippmann: „Fräulein“ ist ein altertümlicher Begriff, und ich gehöre zu einer altertümlichen Generation. Deshalb fällt es mir nicht schwer, das zu verstehen, weil ich mit solchen Bezeichnungen aufgewachsen bin. Heute ist „Fräulein“ aus der Mode gekommen. Es lädt aber zu verschiedensten Assoziationen ein. Im Stück ist das von Strindberg durch die Psychologie der Personen schon vorgegeben.

August Strindbergs „Fräulein Julie“ aus dem Jahr 1888 verkehrt zunächst die Geschlechterrollen. Hier tritt eine selbstbewusste junge Adelige auf, die einen untergebenen Hausbediensteten mitunter zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse benutzt. Dokumente über den Autor lassen ihn jedoch nicht als Befürworter der Gleichberechtigung erscheinen. Was spielt uns Strindberg hier vor?

Im Endeffekt liegt es ja auch an mir als Regisseur, damit zu provozieren oder nicht. Ob Strindberg das damals so gemeint hat? Ich fürchte nein. Ich glaube, er war ein ganz schöner Patriarch. Vielleicht ist ihm da eine Geschichte gelungen, die ihm in Wirklichkeit misslungen ist, weil er gar nicht verstanden hat, welche emanzipatorischen Gedanken damit einhergehen können. Ich glaube fast, Strindberg hat gewittert, das könnte irgendwie spannend werden. 

Warum haben Sie diesen Stoff für die erste Premiere im neuen Jahr ausgewählt?

Dazu gibt es zwei Worte: „die Finanzen“. Wir hatten das Glück, spät im Jahr einen Antrag bei der Stadt Köln einreichen zu dürfen. Das Stück hätte eigentlich schon im Herbst 2024 aufgeführt werden sollen. Eine Krankheit sowie eine Operation haben das bei mir aber verhindert. Wir haben für diese Produktion einen Aufschub von zwei Monaten bekommen – und ich bin dankbar, dass alles geklappt hat. Die Fördersumme von 10.000 Euro ist für mein Theater viel Geld, es reicht aber nicht, um damit die „Dreigroschenoper“ zu inszenieren. Es war also eine ganz pragmatische Entscheidung für eine kleine Produktion mit drei Darsteller:innen.

Im Lauf der Geschichte drehen sich die Verhältnisse. Der Liebhaber gewinnt Oberhand. Wie strikt halten Sie sich in der Inszenierung an die Vorlage?

Ich glaube, dass ich mich daran halte, was den Text angeht, aber nicht in Bezug auf den kompletten Rahmen. Die Bühne wird beispielsweise vollkommen abgeschlossen und clean werden. Ich habe vor, eine Gaze, also einen durchsichtigen hellen Vorhang, zu installieren. Inhaltlich ist es bei Strindberg ja so, dass die Dinge, die im Stück passieren, noch lange nicht aus der Mode gekommen sind. Sie haben eine neue Wertigkeit bekommen, die es zu benennen gilt. Ich gehe in puncto Modernisierung aber grundsätzlich nie zu weit. Auf dem Manuskript steht als Autor August Strindberg, und den gilt es auch zu spielen. Zu radikale Adaptionen sind nicht meine Welt.

Wie sind Sie bei der Rollenbesetzung vorgegangen?

Mein Prinzip lautet seit jeher, das man sich mag. So besetze ich auch. Ich habe die Menschen immer gefunden, mit denen der Umgang stimmte. Natürlich suche ich Leute aus, die zu den jeweiligen Figuren passen. Mir ist aber eine gute Harmonie im Ensemble wichtiger als die individuelle Spielqualität. Die Leute sollen gerne miteinander arbeiten. 

Die Triebfedern der Protagonist:innen sind Ängste und unerfüllte Sehnsüchte. Ist die Romantik die Wurzel alles Bösen?

Das kann eine Wurzel sein. Aber die Wurzel alles Bösen? Das wage ich zu bezweifeln.

Man könnte das Wort „Romantik“ auch durch „Liebe“ ersetzen.

Ich würde eher sagen, das Nicht-lieben-Können ist die Wurzel alles Bösen. Leider funktioniert die Liebe nicht so, wie wir es uns wünschen.

Ist in der Inszenierung neben der Selbstliebe noch Platz für leidenschaftliche Hingabe?

Aber absolut. In der Geschichte kommt schließlich alles aus dem Gefühl der Leidenschaft.

Im Stück geht es vor allem um Machtverhältnisse, nicht wahr?

Nur darum. Es geht einzig und allein um Macht. Immer.
 
Ist dann ein Happy End überhaupt möglich?

Bei uns kommt es mit Sicherheit nicht dazu. Das gäbe der Text auch nicht her. Es ist aber auf jeden Fall eine geile Story, die heute noch ihre Gültigkeit besitzt.

Das Stück wird als „Trauerspiel“ kategorisiert. Können Sie damit etwas anfangen?

Nein. Ich bin nur traurig, wenn die Aufführung nicht gelingt. 

Fräulein Julie | 14. (P), 15., 16., 18., 19., 20., 21., 22., 23., 26.2. je 20 Uhr, weitere Termine ab Mitte März | Theater Tiefrot | 0221 460 09 11

Interview: Thomas Dahl

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