Die große Scharade nimmt zwei kurze Szenen ein: Die Verkleidung des Schusters Wilhelm Voigt zum Hauptmann von Köpenick mittels einer gekauften Uniform sowie die Besetzung des Rathauses von Köpenick samt Verhaftung des Bürgermeisters. Regisseur und Hauptdarsteller Volker Lippmann macht kurzen Prozess mit Carl Zuckmayers Kostümspektakel. Er verlegt den Schwerpunkt des Stücks auf das Ringen Voigts um gültige Aufenthaltspapiere nach seinem Gefängnisaufenthalt. In seinem ockerfarbenen Anzug ähnelt der Schuster einem berlinernden Woyzeck, der sich in den Untiefen der verwalteten Welt verfängt. Er begegnet Passkommissaren, Bahnbeamten, Wachtmeistern, Großbürgern – gespielt von sieben weiblichen Performerinnen mit weißgeschminkten Gesichtern, die ihre Haare unter glatzenhaften Hauben verdecken.
Gesellschaftliche Typen also. Volker Lippmann deutet den „Hauptmann“ als lehrhafte Parabel über die Abhängigkeit der menschlichen Würde von kafkaesken Verwaltungsvorgängen (kein Pass ohne Arbeit und vice versa). Verstärkt wird dieser Eindruck durch die skelettierte Bühne mit unterschiedlich hohen Podesten und einem einfachen weißen Aushang für Projektionen. Doch Zuckmayer ist nicht Brecht und der „Hauptmann von Köpenick“ nicht „Mann ist Mann“. Der Verweis auf gesellschaftliche Militarisierung und eine bis zum Widerspruch verwaltete Ordnung sind im Stück allzu eng mit Milieu, Illustration und Komik verbunden. Volker Lippmanns Deutung will zwar die Parabel, aber auch Milieu – was die Inszenierung in Unentschiedenheit und, trotz nur 65 Minuten Dauer, in erstaunlicher Geschwätzigkeit stranden lässt.
Der Hauptmann von Köpenick | R: Volker Lippmann | 6., 8., 12.-14., 25.-28.5. | Theater Tiefrot | 0221 460 09 11
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Saufen als Brauchtum
„Der fröhliche Weinberg“ am Theater Tiefrot – Prolog 08/22
„Wir machen weiter!“
20 Jahre Theater Tiefrot – Prolog 04/22
Wolken sind aus <s>Poesie</s> Angst gemacht
„Störfall“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 01/22
„Ich weiß nicht, wie oft wir schon totgesagt wurden“
Volker Lippmann über „Der eingebildete Kranke“ – Interview 07/21
„Eine Frau mit bemerkenswerten Ansichten“
Juliane Ledwoch über „Frida Kahlo – Erinnerung an eine offene Wunde“ – Premiere 01/20
Aufgewirbelter Staub und zahlreiche Fragen
„Die vergessene Revolution“ im Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/18
Dreigroschen-Vampire auf Urlaub
„Die Dreigroschenoper“ im Theater Tiefrot – Theater am Rhein 08/18
Bessere Welt?
Theater im September im Rheinland – Prolog 08/18
Madame la Mort
„Die Geschichte von den Pandabären“ im Theater Tiefrot – Theater am Rhein 07/18
Die Sonne scheint nur
Sommertheater in Köln – Prolog 06/18
Höckes Mythos
„Inside AfD“ mit dem Nö-Theater – Theater am Rhein 12/17
Lachen, raufen, trauern
„Romeo & Julia“ im Theater Tiefrot – Theater am Rhein 05/17
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24
Vergessene Frauen
„Heureka!“ am Casamax Theater – Theater am Rhein 06/24
Freiheitskampf
„Edelweißpiraten“ in der TF – Theater am Rhein 06/24
Menschliche Eitelkeit
„Ein Sommernachtstraum“ in Köln – Theater am Rhein 06/24
Die Grenzen der Freiheit
„Wuthering Heights“ am Theater im Bauturm – Theater am Rhein 06/24
Erschreckend heiter
„Hexe – Heldin – Herrenwitz“ am TiB – Theater am Rhein 05/24
Verspätete Liebe
„Die Legende von Paul und Paula“ in Bonn – Theater am Rhein 05/24