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„Die Dreigroschenoper“
Foto: Theater Tiefrot

Dreigroschen-Vampire auf Urlaub

26. August 2018

„Die Dreigroschenoper“ im Theater Tiefrot – Theater am Rhein 08/18

Das Schlachtvieh liegt bereit. Wie ein gelangweilter Haufen Fleisch ist Mackie Messer auf dem weißen Richtblock der Justiz mitten im Innenhof des Hotel Hopper drapiert. Der Gentlemanverbrecher als Intrigenopfer, der mit stoischem Gleichmut und provozierender Lässigkeit das Beil des Henkers erwartet. Doch was wäre eine Oper – und die Dreigroschenoper ist eine, wenn auch travestierte Oper – ohne ein Happy End? Der reitende Bote des Königs sorgt für ein „glückliches Ende“, das man sich gar nicht vorzustellen wagt.

Travestien brauchen kenntnisreiches Vertrauen. Vertrauen in das Ausgangsmaterial. Bei der „Dreigroschenoper“ ist das aber nicht mehr vonnöten. Sie ist längst die Travestie einer Travestie. Die Erkenntnis, dass Verbrechersyndikate wie Unternehmen funktionieren und einen Hang zu bürgerlichen Werten pflegen wie umgekehrt das Bürgertum einen Hang zu verbrecherischen Werte pflegt, ist ein durchgekauter Allgemeinplatz. Der Geniestreich von Bertolt Brecht und Kurt Weill ist inhaltlich abgegrast, ein lieber alter Bekannter, dem man vor allem der Songs wegen wiederbegegnet.

Die Gesichter der Darsteller in Volker Lippmanns Inszenierung sind weiß geschminkt mit blutrotem Rinnsal auf der Wange. Dreigroschen-Vampire, die nicht sterben können. Volker Lippmanns Mackie Messer im strahlend blauen Anzug mit schwarzer Melone ist ein gealterter Macho, mit Zügen eines müden Clowns, der aber seine Selbstverliebtheit nicht verbergen kann. Eher ein Spieler als ein Verbrecher, der seine frischgetraute Ehefrau mit routiniertem, gelangweiltem Charme umgarnt. Polly Peachum (Julia Karl) wirkt mit ihrem dreimaligen Kleiderwechsel (Kostüme: Dejan Radulovic) wie eine handfest auf ihr bürgerliche Glück zusteuernde Verbrechertochter – Schmolltendenz inklusive, wenn die Möbelstücke fürs gemeinsame Heim aus der IKEA-Tragetasche allzu billig aussehen, aber durchaus fähig zum knallharten Capo-Sprech, wenn sie Macheath‘ Organisation übernimmt.

Bettlerkönig Peachum ist bei Torsten Peter Schnick eine Blofeld-Karikatur mit Plüschstinktier, deren Stimme sarkastisch-weinerlich im Diskant Achterbahn fährt. Und Miss Peachum wird bei Ursula Wüstenhagen zur verlebten Alkoholikerin im heruntergekommenen 1920er Jahre-Chic, die aber doch so viel Verbrecher-Klassenbewusstsein besitzt, dass sie ihre Tochter nicht in den Händen eines Gangsterlebemanns wissen will. Und so nimmt der Plot um Mackie Messers Heirat mit Polly, der Tochter Peachums, und sein Verrat durch die Huren von Soho seinen Lauf. Wie in der Barockoper sind im Theater Tiefrot die ausgezehrten Dialoge nur noch Transportvehikel für die weltberühmten Ohrwürmer. Gesungen wird mit unterschiedlicher Qualität, nicht immer tonhöhensicher, gelegentlich auch zu leise, aber doch mit enormer Verve und Inbrunst, einfühlsam begleitet von Daniel Sojunom am Klavier und Herbie Hirsekorn am Schlagzeug. Dass Mackie Messer beim Applaus sich am Ende als Kellner verdingt, zeigt mehr als deutlich, zu was ein bürgerliches Happy End führen kann.

„Die Dreigroschenoper“ | R: Volker Lippmann | 31.8., 2., 5., 7.-9., 28., 30.9. 19.30 Uhr | Theater Tiefrot: im Garten des Hotel Hopper | 0211 460 09 11

HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

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