„Den ‚Reise Know How‘ für Lateinamerika, ‚Michael Müller‘ für Europa, ‚Iwanowski‘ für Afrika und den ‚Loose‘ für den ostasiatischen Raum“, schmettert mir die Buchhändlerin ihre eiserne Faustregel entgegen. Dass eine Faustregel im Grunde ihres nivellierenden Wesens immer eine Verallgemeinerung ist, damit brauche ich dem resoluten Persönchen nicht zu kommen. „Thailand ist Loose-Land!“, knallt sie mir das entsprechende Travel Handbuch [Stefan Loose] vor die Brust:
Was die Beschreibung der berühmt-berüchtigten Khaosan Road in Bangkok betrifft, kann ich diese Einschätzung schon mal teilen: Hunderte Backpacker-Kids kippen sich zwischen Lachgas-Verkäufern und Straßenhändlern mit gerösteten Skorpionen zu einer wummernden Kakophonie aus Bar-Mucke eimerweise Alkohol hinter die Binde – und erinnern damit an Pamela Moores 16-jährige Heldin aus dem Fifties-Kultbuch „Cocktails“ [Piper]. Party all night long! Aber Freiheit impliziert auch eine gewisse Haltlosigkeit; zu beobachten an den so angestrengten wie inhaltsleeren Blicken durch die Meute tigernder Aussteigergreise.
Totales Kontrastprogramm 1,5 km entfernt im Wat Pho. Zumindest am späten Nachmittag, wenn die Touribusse abgejuckelt sind, die farbenprächtigen Tempeldächer und Chedis in der güldenen Sonne funkeln und man sich in der traditionsreichen Massageschule neben dem liegenden Buddha durchwalken lässt. Ein Bild des Friedens und kultivierter Erhabenheit – wie es im „Traum des Richters“ [Septime] immer wieder vom Gauchopöbel zerstört wird. Und ‚natürlich‘ weiß sich dieser in Carlos Gamerros bärbeißiger Argentinien-Satire nur durch drakonische Strafen zu helfen.
Der Nachtzug Bangkok – Chiangmai hätt‘s auch getan. Erst recht, wenn man nur noch eine der oberen Gefängnispritschen ohne Fenster erwischt. Ich setze auf den Speisewagen und Michael Bertls „Drei für Moskau“ [Berlin]. Als sich der Schaffner anschickt, die Schänke zu schließen, würde ich ohne zu zögern auf ihren Chaostrip hinter den Eisernen Vorhang aufspringen, statt in meinem mobilen Knast auch nur eine Station weiter zu fahren. Ich schwinge mich vom Bock – und bin heilfroh, dass mein Reiseführer selbst für ein so unbedeutendes Nest wie Nakhon Sawan ein Motel zu bieten hat.
Von nun an nur noch per VIP-Bus – und mit „Old School“ [Random House], gelesen von Gerd Köster, auf‘m Ohr, wider dem in solchen Vehikeln obligatorischen Movie-Trash. Mit dem Rücken zur Wand lassen es John Nivens in die Jahre gekommenen Ladies zwar auch mächtig krachen. Aber zotig! Über 10h wilden Hörkinos, angefeuert von gegrillten Squids in höllisch scharfer Zitronengrassauce. So lässt sich die gute Laune aus dem entspannten Norden bis ‚runter‘ aufs Inselparadies transportieren – oder besser schmuggeln: Denn die gloriosen Furien würden das kleine Eso-Hippie-Fleckchen im Süden von Ko Pha Ngan unweigerlich in Schutt und Asche legen.
So wie 1767 die Birmesen das Königreich von Ayutthayah. Dennoch erscheinen die Tempelruinen immer noch wahrhaft monumental. Ähnlich unverbrüchlich: der ‚gottlose‘ Burroughs-Clan auf dem „Bull Mountain“ [Suhrkamp] in Brian Panowichs teuflisch gestricktem Hillbilly-Racheepos. Welch fataler Irrglaube, dass Sheriff Clayton hofft, seinen Bruder mit Hilfe eines jungen FBI-Agenten zur Räson bringen zu können. Genauso, wie zu meinen, man könnte in zwei Wochen einen Eindruck von Thailand bekommen und sich gleichzeitig erholen.
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