Montag, 19. Oktober: Seit acht Jahren bietet „Kino Latino Köln“ dem lateinamerikanischen Film auf der Kölner Leinwand ein Zuhause. Im Rahmen des Festivals werden ausschließlich Filme präsentiert, die noch nicht regulär im Kino ausgewertet wurden. Bei der achten Auflage im Oktober 2015 zählten zu den projizierten Filmen sogar zwei Deutschlandpremieren. Wann immer möglich, haben die Veranstalter versucht, die Regisseure der Filme zu anschließenden Publikumsgesprächen nach Köln einzuladen. So präsentierte Markus Lenz am Montagabend seinen 2012 gedrehten Diplomfilm der hiesigen Kunstschule für Medien KHM, „Ruina“, den er in der venezolanischen Hauptstadt Caracas aufgenommen hatte. Nachdem Lenz einen Artikel über die allgemeine Situation in Caracas gelesen hatte, wurde er auf den Confinanzas-Turm aufmerksam, der darin als Randnotiz vorkam. Das Bankgebäude war bis 1992 gebaut, aber nach der Pleite des Auftraggebers nie fertig gestellt worden. Seitdem verschandelt seine Ruine den Finanzdistrikt der Hauptstadt und wurde einige Zeit später von Hausbesetzern in Beschlag genommen.
Der als „vertikales Slum“ von Caracas bezeichnete Turm bot in seiner Hochphase auf 28 seiner insgesamt 45 Etagen mehr als 2700 Menschen Unterschlupf. Markus Lenz’ Interesse war direkt nach ersten Internetrecherchen geweckt: „Das hat mich extrem angezogen mit seiner kaputten Aura, zumal das Gebäude so zentral in der Stadt situiert ist“, erläuterte der Regisseur dem Publikum in der Filmpalette. Über ein Austauschprojekt der KHM konnte Lenz zunächst ins kolumbianische Bogotá reisen, wo er in Leonardo Acevedo seinen Kameramann für das Projekt fand. Obwohl die beiden noch von Kolumbien aus Kontakte zu Fernsehsendern und freien Journalisten in Venezuela aufgebaut hatten, nützte ihnen das nach ihrer Ankunft in Caracas nichts mehr. „Es ist sehr schwierig für Bericht erstattende Journalisten, in den Turm hineinzukommen“, so Lenz. Da vor Ort immer wieder Polizeieinsätze stattfanden und im Internet diffamierende Videos über das Gebäude veröffentlicht worden waren, hegten die Hausbesetzer ein Misstrauen gegenüber Kamerateams. Lenz und sein Kameramann klopften am Turm schließlich einfach an die Tür und stellten so den Kontakt mit der Sekretärin der Einwohner her. Unerbittlich blieben sie an der Sache dran: „Ich wollte mich im Gebäude frei bewegen können und nicht nur an einer geführten Tour teilnehmen.“
Das ist Markus Lenz schließlich gelungen, als die Bewohner merkten, dass er sich tatsächlich für sie und das Innenleben des Turms interessierte. Bei dem 17tägigen Dreh vor Ort sind, nachdem das Eis zwischen den Parteien gebrochen war, auch einige persönliche Bindungen entstanden, die der Filmemacher nach wie vor aufrechterhält. Zwei Jahre nach den Dreharbeiten, von Herbst 2014 bis zum Sommer 2015, wurde der Confinanzas-Turm schließlich von der venezolanischen Regierung geräumt und alle Bewohner umgesiedelt. „Als wir vor Ort gefilmt haben, hatte ich nicht das Gefühl, dass so schnell etwas passieren würde, denn immerhin war auch in den sieben Jahren der Besetzung in dieser Hinsicht nichts passiert“, erläuterte der Regisseur. Da aber mittlerweile das politische Ansehen der Regierung gefährdet war, kam es letzten Endes zu dieser Entscheidung. Für viele der Besetzer stellt die Aussiedlung nach Meinung von Markus Lenz eine Verbesserung dar, da sie nun in neu errichteten Sozialbauten mit besseren Standards als im Turm untergebracht wurden. Der Turm selbst soll nun rückgebaut und zu einem Krankenzentrum umfunktioniert werden. Als „Ruina“ 2014 in Venezuela mit einem Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet wurde und der Regisseur nicht persönlich vor Ort sein konnte, nahmen übrigens die Turmbesetzer den Preis stellvertretend für ihn in Caracas entgegen.
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