Auch im Agnesviertel gibt es die bekannte Abfolge von Pionierphase und Verdrängung. Nachdem in den 1970ern Künstlerateliers entstanden, die Alte Feuerwache zum Kulturzentrum verwandelt wurde und alter Hausbestand durch Besetzungen und Genossenschaften vorm Abriss bewahrt werden konnte, zählt es heute zum teuersten Pflaster Kölns. Die nicht verbürgerlichten Pioniere oder Verlierer dieser Aufwertung haben das Quartier verlassen oder wurden verdrängt.
Das Besondere am Agnesviertel sind seine „verdichtete Unterschiedlichkeit“ und seine Lage mit kurzen Laufwegen und Grünflächen, die es als Wohnviertel interessant machen. Doch im Gegensatz zu Ehrenfeld oder dem Belgischen Viertel nutzen es vorwiegend Leute aus dem Viertel selbst zum Ausgehen. Die Boheme und die Kunstwelt haben sich hier nie richtig wohlgefühlt. Das schärft den Blick auf die eigentliche Aufwertung: die Inwertsetzung durch die Immobilienwirtschaft. Neuvermietungen an der Obergrenze des Mietspiegels sind die Regel, bei Mieterwechsel verdoppeln sich so teilweise die Mieten. Das hat unmittelbare Verdrängungs- und Homogenisierungseffekte. Werden Mehrfamilienhäuser in Eigentumswohnungen umgewidmet, ändern sich zudem die Ansprüche der Bewohner – eine Verspießerung setzt ein.
Die oberen Ränge haben sich schon in Stellung gebracht
Dieser Prozess ist an sich entpolitisierend. Wo Unbehagen, Wut und Verdrängungsängste auf Immobilienmarktakteure stoßen, lauert entweder die Letztbegründung „Markt“ oder ein individualrechtliches Manöver, das den Einzelnen in die Defensive zwingt. Es fehlt eine kollektivrechtliche Dimension, die Solidaritätsformen unter den Betroffenen schafft. Henri Lefebvre nennt das „Recht auf Stadt“. Aber diese Forderung entzündet sich zumeist an Räumen, in denen mehr als nur Wohnen auf dem Spiel steht. Im Agnesviertel, in dem nur vereinzelt Gebäude leer stehen, gibt es keine Brachen und Bauprojekte, an denen sich ein solches „Recht auf Stadt“ entzünden könnte. Die für 2018 geplante Umgestaltung des Ebertplatzes birgt da noch am meisten Potential.
Die oberen Ränge haben sich aber schon in Stellung gebracht. Angeführt vom Verein „Unternehmer für die Region Köln e.V.“ und flankiert von biederkölschen Bürgerinitiativen wurde von Albert Speer ein „Masterplan Köln“ entwickelt, der Köln als Investitionsstandort attraktiver machen soll. Für den Ebertplatz ist vorgesehen, die schon vor Jahren begonnene „transparente“ Gestaltung des Platzes weiter zu radikalisieren. So wird die „Badewanne“ des Ebertplatzes bis 2018 aufgeschüttet, Obdachlose, Arbeitslose oder Dealer etc. also endgültig vertrieben. Bis dahin lässt man die afrikanische Kneipe und die Künstler, die die Passage für sich als stadtpolitisches Projekt entdecken, noch ein bisschen weiter toben, „entmietet“ den Platz aber, indem man Rolltreppen verrotten lässt und auch sonst keine Reparaturen mehr vornimmt – so lange, bis der letzte Zweifler nachgibt und sagt: „Schüttet zu das Loch!“
Weitere Artikel zum Thema in unseren Partnermagazinen:
www.trailer-ruhr.de/vom-kulturbiotop-zum-szeneviertel
www.engels-kultur.de/kulturstadt-im-tal
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Augenöffner im Autohaus
„The Mystery of Banksy“ in Köln – Kunstwandel 12/23
Rechts vom Rhein geht’s weiter
In Kalk wächst die Subkultur in Hinterhöfen und Vorstadtkneipen – Thema 11/12 Neue Urbanität
„Das ist eine Konsumhaltung gegenüber der Stadt“
Wie die Stadtwohnung die Villa im Grünen ablöst – Thema 11/12 Neue Urbanität
Urban es en Jeföhl
Was ist eigentlich die „neue Urbanität“? – THEMA 11/12 NEUE URBANITÄT
Ran an die Regeln
Intro – Verspielt
Es sind bloß Spiele
Teil 1: Leitartikel – Videospiele können überwältigen. Wir sind ihnen aber nicht ausgeliefert.
„Viele Spiele haben noch einen sehr infantilen Touch“
Teil 1: Interview – Medienpädagoge Martin Geisler über Wandel in der Videospiel-Kultur
Jenseits der Frauenrolle
Teil 1: Lokale Initiativen – Die Spieldesignerin und Label-Gründerin Mel Taylor aus Köln
Werben fürs Sterben
Teil 2: Leitartikel – Zum Deal zwischen Borussia Dortmund und Rheinmetall
„Genießen der Ungewissheit“
Teil 2: Interview – Sportpädagoge Christian Gaum über das emotionale Erleben von Sportevents
Immer in Bewegung
Teil 2: Lokale Initiativen – Sportangebote für Jugendliche im Open Space in Bochum
Das Spiel mit der Metapher
Teil 3: Leitartikel – Was uns Brettspiele übers Leben verraten
„Ich muss keine Konsequenzen fürchten“
Teil 3: Interview – Spieleautor und Kulturpädagoge Marco Teubner über den Wert des Spielens
Zusammen und gegeneinander
Teil 3: Lokale Initiativen – Spieletreffs in Wuppertal
Spielglück ohne Glücksspiel
Gegen teure Belohnungen in Videospielen – Europa-Vorbild: Belgien
Spielend ins Verderben
Wie Personalmanagement das Leben neu definierte – Glosse
Wie gewohnt
Intro – Europa
Demokratischer Bettvorleger
Teil 1: Leitartikel – Warum das EU-Parlament kaum etwas zu sagen hat
„Die Bürger vor globalen Bedrohungen schützen“
Teil 1: Interview – Politikwissenschaftler Oliver Treib über Aufgaben und Zukunft der Europäischen Union
Zu Gast in Europas Hauptstadt
Teil 1: Lokale Initiativen – Die europäische Idee in Studium und Forschung an der Kölner Universität
Europäische Verheißung
Teil 2: Leitartikel – Auf der Suche nach Europa in Georgien
„Mosaik der Perspektiven“
Teil 2: Interview – Miriam Bruns, Leiterin des Goethe-Instituts Budapest, über europäische Kultur
Europa verstehen
Teil 2: Lokale Initiativen – Initiative Ruhrpott für Europa spricht mit Jugendlichen über Politik
Paradigmenwechsel oder Papiertiger?
Teil 3: Leitartikel – Das EU-Lieferkettengesetz macht vieles gut. Zweifel bleiben.
„Der Verkauf des Kaffees nach Europa ist gestoppt“
Teil 3: Interview – Sebastian Brandis, Sprecher der Stiftung Menschen für Menschen, über das EU-Lieferkettengesetz