Eine Frau zwischen zwei Männern: Das ist ein Plot, mit dem man eher dramatisches Kino als abstraktes Ballett verbindet. Dass dieses Ballett dann auch noch so unscheinbar mit „Drittes Klavierkonzert“ überschrieben ist, zeugt von dem außerordentlichen Respekt, mit dem Martin Schläpfer mit der Musik in allen seinen Balletten umgeht. Seine Choreografie fühlt sich ein in die Musik und sucht mit den Bewegungen und Tanzschritten die Berührungspunkte zu ihrer Stimmung. Und so vermittelt sich im Ballett „Drittes Klavierkonzert“ von Beginn an für den Betrachter das Gefühl, dass Tanz und Musik eine gemeinsame Richtung einschlagen.
Aus einer Problemkonstellation der Liebe macht Choreograf Martin Schläpfer ein behutsam-einfühlsames Ballett, weitab von narrativer Larmoyanz. Gefühlsregungen werden getanzt und nicht mimisch verbrämt. Ganz selten wird der Tanz gestisch verstärkt, etwa wenn die ausdrucksstarke Camille Andriot im Tanz ihre Hände im Kleid verkrampft. Ein durchgängiges Motiv sind ihre gestreckten Arme, die wie im Nicht-Begreifen mit gespreizten Fingern enden. Kongenial werden in diesem Ballett weniger die Gefühle als vielmehr die Stimmungen ausgespielt und diesem Lebens-, Liebes- und Leidensgeschichte der Frau behutsam und einfühlsam in Tanz umgesetzt.
Bunt, witzig und mit viel untergründigem Schweizer Humor (Schläpfer stammt aus Altstätten/CH) geht es in der „Tanzsuite“, dem zweiten Stück des Abends zu. Das beginnt mit dem Sendeschluss-Bild der ARD der sechziger Jahre. Den bunten Streifen folgt der Mattscheiben-Schnee und dem schließlich die verzerrten Schlieren elektroakustischer Signale. Vor diesem wechselnden Prospekt der Hinterbühne jagt Schläpfer zwanzig seiner Tänzer in einem flotten Auf- und Abtreten einzeln oder zu zweit und in Gruppen über die Bühne. Dann wieder dürfen sie pausieren und pantomimisch einen Kaffee trinken. In ihren bonbonfarbenen Ganzkörpertrikots bilden die Tänzerinnen und Tänzer einen herrlich komischen optischen Kontrast zum akustischen Schrappen und Schleifen, zum Kratzen, Klimpern und Zupfen der Saiten in Lachenmanns Tanzsuite mit Deutschlandlied aus dem „Reigen seliger Geister“. Doch Schläpfer findet in Lachenmanns Komposition auch die versteckten emotionalen Momente, die sich auch (aber nicht nur) in dem großartig getanzten Pas de deux von Marlúcia do Amaral und Jörg Weinöhl wieder finden. Der Ballettabend wird mit der „Symphony of Psalms“ abgeschlossen, einer Choreografie von Jiří Kylián, dem langjährigen Leiter und Choreografen des Nederlands Dans Theater. Ausstattungsstark ist die gesamte Bühnenrückwand von Perserteppichen (echten!) bedeckt. In Verbindung mit den hochlehnigen Stühlen wird so der Eindruck eines sakralen Raumes erweckt. Die acht Tänzer-Paare zeichnen mit wiederholten Diagonalen und Parallelen eine komplexe choreografische Struktur in den Raum, die an rituelle Abläufe erinnert. Kyliáns Choreografie stammt aus dem Jahr 1978, als er gerade einmal fünf Jahre choreografiert hatte. Mit ihrer zeitlosen Schönheit schließt sie unproblematisch an Schläpfers moderne Choreografien an.
Die Kölner Ballett-Fans dürfen sich auf den 20. Dezember freuen, wenn das Düsseldorfer Ballett am Rhein nach langen Jahren wieder einmal zum Gastspiel nach Köln kommt. Dann allerdings mit anderem Programm.
b.10 – Drittes Klavierkonzert, Tanzsuite, Symphony of Psalms
Oper am Rhein Düsseldorf 16.12., 22.12. je 19.30 Uhr, 26.12. 18.30 Uhr, 7.1. 2012 19.30 Uhr I www.ballettamrhein.de
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