Sonntag, 13. März: Eine ungewöhnliche Mischung aus Stadtgeschichte und Reflexion aktuellen politischen Geschehens bot das Odeon-Kino. Gezeigt wurde ein Dokumentarfilm aus dem Jahr 1987 über den Kölner Bürger Nikolaus Gülich, der sich im 17. Jahrhundert mit den Stadtoberen anlegte, um den Kölschen Klüngel zu bekämpfen. Die Vorstellung im Odeon, zu der die Partei Bündnis 90/Die Grünen eingeladen hatte, bot eine doppelte Zeitreise aus heutiger Sicht: Der Film vermischt sehr geschickt die Geschichte des historischen Gülich und des von ihm angeführten Aufstandes mit den Bildern des Kampfs der Grünen im Stadtrat aus dem Jahr 1987.
Nikolaus Gülich war der Initiator des letzten Aufstandes im Kölner Stadtgebiet, der wirklich von einem großen Teil der Bürger mitgetragen wurde. Wie der Film deutlich macht, wetterte er nachhaltig gegen den Kölschen Klüngel, gegen Vetternwirtschaft und Korruption. Der nach ihm benannte Gülich-Aufstand führte wenigstens vorübergehend sogar zur Absetzung des Stadtrats. Als dieser mithilfe des Kaisers die Macht zurück erlangte, kostete das Nikolaus Gülich das Leben. Auf der Mülheimer Heide wurde der Kaufmann 1686 hingerichtet.
Diese Geschichte erzählt der Film „Vivat Gülich und der Bürger Freiheit“ in Form einer Dokumentation mit inszenierten Spielszenen. Darin tritt ein Nikolaus Gülich in Garderobe und Sprache des 17. Jahrhunderts im Köln des Jahres 1987 auf. Zurückgekehrt von den Toten hat er seine Mühe im Straßenverkehr, aber auch im Umgang mit den Passanten. Er macht sich auf die Suche nach seinem Wirken und seinem Ansehen. Das muss zur Entstehungszeit des Films allerdings erst wieder hergestellt werden, wofür sich die Grünen gegen breiteren Widerstand einsetzen.
Der Film gibt neben der Geschichte Gülichs auch einen Einblick in den damaligen Kampf der jungen Grünen Politiker gegen den Klüngel im Kölner Stadtrat. Neben der Autorin des Films Christel Fomm und dem Kameramann Peter Kaiser standen auch politische Akteure der Partei nach dem Film zum Gespräch bereit. Die Kreisvorsitzende Marlis Bredehorst sowie Jörg Frank und Manfred Waddey stellten dann auch ihre Sicht auf den heutigen Kölschen Klüngel dar. Die Bandbreite reiche von vernünftigen Absprachen der Beteiligten zum Wohle der Stadt bis hin zu eindeutig kriminellem Verhalten, so die Einschätzung. Eine eindeutige Grenzziehung sei dabei nicht immer einfach. Allerdings sei die Besetzung lukrativer Posten wie die von Führungspositionen in Stadtwerken, Wasserwerken etc. heute nicht mehr wie früher durch Bekanntschaft und Beziehungen möglich, betonte Jörg Frank. Die dafür nötigen Spezialisten würden mittlerweile durch Personalfirmen gesucht, wodurch mehr geeignete Personen in den Fokus rückten.
Durchaus kritisch wurden sie von Martin Stankowski auch gefragt, was denn von der im Film zu sehenden rebellenhaften Opposition der Grünen und ihrer damaligen Ideale heute noch geblieben sei. Eine sehr aktuelle Frage gerade an diesem Sonntag, an dem zwei Bundesländer weiter südlich ein grüner Ministerpräsident zur Wiederwahl stand. Hier zeigt sich, dass die Grünen heute nicht mehr ganz gemäß ihrem im Film propagierten Ideal handeln, etwa wenn sie sich wie die anderen Parteien auch intern auf ihre Kandidaten einigen.
Von Nikolaus Gülich bleiben in Köln heute noch der Gülichplatz neben dem Wallraf-Richartz-Museum, eine Büste am Rathaus sowie der von den Grünen eingerichtete Nikolaus-Gülich-Fonds. Der wird durch eine Abgabe der grünen Ratsmitglieder finanziert und unterstützt einzelne kulturelle Projekte in Köln.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Nach Leerstellen suchen
„Riefenstahl“ im Weisshauskino – Foyer 11/24
Kunst des Nicht-Wegschneidens
„Anna Zeit Land“ im Filmforum – Foyer 10/24
Restitution von Kolonialraubkunst
„Dahomey“ und „The Story of Ne Kuko“ im Filmforum – Foyer 10/24
Disziplin, Drill und Durchlässigkeit
„Mädchen in Uniform“ im Filmforum – Foyer 08/24
Der Sieg des Glaubens
„Führer und Verführer“ im Odeon mit Regisseur Joachim Lang – Foyer 07/24
Queere Menschen in Polen
„Boylesque“ im Filmhaus – Foyer 07/24
Die schwierige Situation in Venezuela
„Das Land der verlorenen Kinder“ im Filmhaus – Foyer 06/24
Ungewöhnliches Liebesdrama
„Alle die du bist“ im Odeon – Foyer 05/24
Mehr als „Malen-nach-Zahlen-Feminismus“
„Ellbogen“ im Filmpalast – Foyer 04/24
Gegen die Marginalisierung weiblicher Körper
„Notre Corps“ im Filmforum – Foyer 04/24
Rechtsextreme Terroranschläge
„Einzeltäter Teil 3: Hanau“ im Filmhaus – Foyer 02/24
„Monika musste sterben, weil sie nicht auf den Bus warten wollte“
Auf der Suche nach Gerechtigkeit beim dfi-Symposium – Foyer 01/24
„Mir wurden die Risiken des Hebammenberufs bewusst“
Katja Baumgarten über ihren Film „Gretas Geburt“ – Foyer 11/24
Der Tod, der uns verbindet
NRW-Premiere von Eva Trobischs „Ivo“ – Foyer 06/24
„Paradigmenwechsel im Mensch-Natur-Verhältnis“
Mirjam Leuze zum LaDOC-Werkstattgespräch mit Kamerafrau Magda Kowalcyk („Cow“) – Foyer 03/24