Vladimir Sorokin ist eine mächtige Erscheinung. Groß und kantig wie seine Bücher überschattet er seine beiden Sitznachbarn, kann ebenso wenig unbemerkt bleiben, wie seine Werke beim Erscheinen auf dem Literaturmarkt. Mit seinem neulich auch in Deutschland erschienenen Roman „Manaraga“ war er am 10. Januar im Literaturhaus, las aus dem russischen Original und stellte sich den Fragen Katharina Heinrichs. Der Kölner Schauspieler Stefko Hanushevsky trug die Passagen aus Andreas Tretners Übersetzung vor.
„Als erstes ... wollte ich ... guten Abend sagen ... Ich begrüße euch!“ Etwas stockend richtet Sorokin diese ersten Worte ans Publikum. Das hängt teils damit zusammen, dass er die deutsche Sprache eher passiv beherrscht, viel mehr jedoch damit, dass er seine Worte sorgsam wählt. Als er „zum besten des Publikums“ ins Russische wechselt, lässt er sich weiterhin Zeit, wägt die nächsten Worte ab und schreckt vor der Ruhe zwischen zwei Sätzen nicht zurück. Auch in seinen Romanen haben Worte Gewicht – von langsamem Tempo kann aber keine Rede sein.
„Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs“ spielt im Jahr 2037 und zeichnet, wie viele von Sorokins Büchern, ein düstere Zukunftsvision: Nach Kriegen, Revolutionen und einem „islamischen Frühling“ ist Europa in kleinste Teile zerfallen und die Literatur steht vor ihrem Ende, weil niemand mehr Bücher liest – zumindest nicht im herkömmlichen Sinne. Geza, der Meisterkoch aus dem Buchtitel, reist um die ganze Welt von Kunde zu Kunde und „liest“ für sie Bücher, was bedeutet: Er nutzt sie als Brennmaterial für einen Grill. Auf seinem Speisenplan finden sich somit Gerichte wie „Schaschlik vom Stör auf Dostojewskis Idioten“ oder „Schnitzel über Schnitzler“. Je besser die Literatur und je wertvoller die Ausgabe, desto gefragter das Gericht.
Sorokins kulinarische Bücherverbrennungen mögen grotesk und überzogen anmuten, doch steckt hinter ihnen mehr als lediglich eine ausgefallene Idee. Dass wir in nicht allzu ferner Zukunft von gedruckten Büchern Abschied nehmen müssen, steht für ihn fest. Was wird also mit der Literatur geschehen, wenn sie nicht mehr gelesen wird? Der „vergnügungssüchtige“ Mensch wird andere Wege finden, um mit ihr umzugehen. Doch Book’n’Grill ist nicht allein ein zerstörerischer Akt: Die Zubereitung eines solchen Gerichtes bedingt die genaue Auseinandersetzung mit dem literarischen Brandmaterial.
Denn wie Sorokin – nicht ohne Augenzwinkern – anmerkt, eignet sich nicht jedes Buch zur Zubereitung eines Steaks: „Es müssen hochqualitative Bücher verbrannt werden.“ Die postsowjetische Literatur des 20. Jahrhunderts zum Beispiel – zumindest 80%, merkt eine Zuschauerin an – oder auch die Werke seines zeitgenössischen Kollegen Pewelin seien wie Bruchholz zum Grillen unbrauchbar. Bevor ein Buch „gelesen“ werden kann, muss es also gelesen werden.
Das gilt nicht nur für die Konsumenten in Sorokins Geschichte, sondern auch für seine Leser. Heinrichs spricht die vielzähligen Referenzen auf andere literarische Werke an, bezeichnet „Manaraga“ als „europäisches Literaturbuch“, dass Leser dazu anstachele, sich mit neuen Werken auseinanderzusetzen – und zwar über die Zusammenfassungen der Wikipedia-Artikel hinaus. Mit dieser Aussage scheint sie Sorokins Absicht auf den Punkt gebracht zu haben.
„Wenn dieses Buch das Interesse der Leser in Literatur wecken wird, dann werde ich glücklich sein.“ So schließt Sorokin auf Russisch die Lesung seines Romans, in dem er dem von ihm prophezeiten Ende der Literatur entgegenwirkt, indem er das selbstverständlichste tut: Er lässt sie brennen.
Vladimir Sorokin: Manaraga. Tagebuch eines Meisterkochs | Kiepenheuer & Witsch | 256 S. | 16,99 €
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